Ein Netzbuch ist ein Buch im Netz: soll heißen, es ist bereits verteilt, wenn es dort erscheint. Die Frage, ob sich auf diese Weise Geld machen lässt, einmal beiseite gestellt, erfüllen die Distributoren des world wide web die Aufgabe der Verlage, aber weit schneller, weit umfassender, weit besser. Es ist nicht gut, diese Tatsache zu verschleiern, weil sie sich auf Dauer nicht verschleiern lässt. Was man beobachten kann, sind Ansätze, ein Oligopol zu verteidigen: den eingespielten Verbund mit Werbeträgern und ›Besprechungsorganen‹, die ihrerseits längst ins Netz umgezogen sind oder dort eine Zweitexistenz führen. Auf diese Weise sind sie nicht nur zum Hemmschuh der Entwicklung geworden, sondern zu einem wirklichen Flaschenhals für die Verbreitung von Literatur, also dafür, gelesen zu werden. Sie stellen die Autoren vor die Wahl, gelesen oder gefördert, gelesen oder besprochen, gelesen oder geehrt zu werden. Das schmeckt nach Kampf. Und wirklich ist es gerade das, was wir erleben: die Verzerrung jeglichen Urteils durch den Kampf ums Medium.
Was sich beim Übergang vom Buch zum Netzbuch wirklich verändert, ist das System oder die äußere Repräsentanz, der die innere entspricht, also das, was das gedruckte Ding zum Buch macht. Seine Monopolstellung ist dahin, es ist nicht mehr systembildend, sondern Teil eines Systems, noch dazu eines, das sich weniger leicht, und wenn, dann mit anderen Mitteln und vielleicht bloß segmentweise, monopolisieren lässt. Der Bedeutungs-, der Ansehensverlust, der daraus resultiert, ist mit Händen zu greifen, wie die Hersteller der Dinosaurier des Prestiges, der Enzyklopädien, als erste erfahren mussten. Der Bedeutungsschwund erzeugt seltsame Wirkungen: er bringt jenen klebrigen Fetischismus an den Tag, der sich an Leim und Geleimtes, an die standardisierten und beliebig verfügbaren Phrasen der Besprechungsindustrie, ans Treppchenwesen der Förderkolonnen heftet und ausspart, dass, was geschrieben wurde, vor allem gelesen sein will.
Ist ein Netzbuch demnach kein Buch mehr, sondern ein prestigearmes ›Kapitel‹ in jenem umfassenden Buch der Bücher, Internet genannt, in dem alles vorkommt, was des Menschen Herz und Verstand zu sehen, zu hören und zu lesen begehren? Sind Netzbuch und Netz demnach dasselbe? Für Apologeten der ›Konnektivität‹, des nicht-linearen Weiterblätterns und -klickens ist das keine Frage. Nur ist das Netz weder die Summe seiner Inhalte noch ein ominöses, aus Inhalten gefügtes Ganzes. Es ist, wie jedermann weiß, dynamisch: sowohl in den Inhalten als auch in den Formen, in denen sie sich präsentieren. Darin ähnelt es eher der romantischen Universalpoesie oder Zauberbüchern, mit denen man kindliche Gemüter beeindruckt, als dem vertrauten System Buch. Andererseits geht sein (ebenfalls dynamisches) Verweissystem so sehr über alles hinaus, was die ausgeklügeltste Bibliothek zu leisten vermag, dass sich auch diese Analogie verbietet. Sie wäre auch aus dem einfachen Grund widersinnig, dass Bibliotheken nur ein Teil des Systems Buch sind: ein weiterer untauglicher Versuch, das Neue unter vertraute Rubriken zu bringen und ihm dadurch im überkommenen kulturellen Spektrum einen Platz anzuweisen. Das hieße dem Sieger Manieren beibringen zu wollen, um ihn davon abzuhalten, den Lohn des Sieges einzustreichen.