Ein Lesespiel, nun, was ist das? Ein Spiel vermutlich. Ein Spiel, das sich lesend bewältigen lässt, nichts-als-lesend, ein Spiel im Lesen und mit dem Lesen, wie zu vermuten steht, denn sonst wäre es nur Lesen und kein Spiel. Wie kann das gehen? Lesen ist ein relativ einförmiger Vorgang, der äußerlich durch Sitzposition, Lesematerial und Lesetechnik bestimmt ist, ansonsten die Aufmerksamkeit des Lesenden auf das, was da geschrieben steht, in Gang hält. Es bedarf schon eines Entschlusses, um zu lesen, Spontanlektüren beschränken sich in der Regel auf Werbeflächen und Etiketten, allenfalls auf die Überschriften herumliegender Zeitungen oder Zeitschriften. Ein Lesespieler wäre demnach jemand, der der Einförmigkeit dieses Vorgangs zu entrinnen versucht, ohne deshalb mit dem Lesen aufzuhören. Sinnloses Herumblättern als eine Schwundform des Lesens ist, streng genommen, kein Spiel, auch wenn es gelegentlich spielerisch daherkommt. Wer die Bibel (oder das BGB) an einer beliebigen Stelle aufschlägt, um zu erfahren, was Gott (oder der Gesetzgeber) ihm gerade in dieser Situation zu sagen hat, der würfelt – er fordert Gott oder das Glück auf mechanische Weise heraus, in seinem Leben mitzusprechen. Das Würfeln gehört zu den Grundformen des Spiels: dieses hier hat den Vorteil, bloß ans Blättern gebunden zu sein, also an einen Schriftträger, der dergleichen erlaubt. Das Geschriebene selbst kommt dabei als Akteur nicht weiter in Betracht.
Solchen passiven Spielen, die sich allein der Laune oder dem Aberglauben des Lesers verdanken, kann man die aktiven Lesespiele gegenüberstellen. Ein aktives Lesespiel enthält die Aufforderung an den Leser, mitzuspielen, das heißt an einem Spiel teilzunehmen, das auch eines bleibt, wenn er davon Abstand hält. Ein Lesespiel lesen, ohne überhaupt zu spielen, ohne es zu spielen, hieße, es nicht so zu lesen, wie gelesen zu werden es vorschlägt oder sogar voraussetzt, hieße also, streng genommen, es ungelesen zu lassen. Doch gibt es wenige Leser, die es mit dem Lesen so streng nehmen. Streng genommen hieße Lesen stets, im Sinn des Autors zu lesen oder einem entsprechend, der es mit diesem aufnimmt, das Gelesene in irgendeiner sachhaltigen Weise zu verstehen. Das ist vielleicht die Regel, bei bestimmten Schriften geschieht es in der Regel nicht. Die Philosophen kennen Leseregeln, die es sogar explizit ausschließen. Man darf also ruhig annehmen, dass auch Lesespiele gelesen werden können, ohne dass die Lektüre selbst die Form des Spielens annimmt. Man kann sogar annehmen, dass ein solcher Leser verstanden haben mag, um welche Form des Spielens es sich dabei handelt. Er will nur nicht spielen, er hat keine Lust, keine Zeit, vielleicht fühlt er sich nicht wirklich gefordert oder es ist ihm zu kompliziert.