SCHREIBKULTUR

Wieso sollte jemand das Schreiben aufgeben um der Bilder willen? Wieso sollten tönende oder bewegte Bilder mehr wert sein als stumme und unbewegte? Wieso sollten gesungene oder getanzte Vorstellungen lebendiger sein als geschriebene? Was durch alle Sinne geht, das geht – wohin? Es geht dahin – und dorthin; es beeindruckt mich tief oder auch nicht, es verpufft. Ich kann mir einen Film zehnmal hintereinander ansehen, ich kann ihn Bild für Bild analysieren, er bleibt ein Film oder er verwandelt sich in eine Folge von Einzelbildern. Wenn ich ein Musikstück höre, habe ich mehr davon, als wenn ich die Partitur lese? Das ist keine Frage des Standpunkts, das ist eine Frage an den, der ich bin. Dieses ganze Mehr oder Weniger ist eine abgedroschene Sache. Die Schrift – wie das einzelne Bild – enthält ein Angebot, das von jeder Aufführung kassiert wird: es lässt Zeit. Es lässt, sollte ich ergänzend hinzufügen, alle Zeit. Es belässt mich in meiner Zeit. Was bedeutet das? Es bedeutet, es überlässt mich meinen Gedanken. Diese Gedanken mögen durch das Gelesene oder Gesehene induziert sein, aber es sind meine Gedanken, es sind Gedanken in der Ordnung meiner Gedanken. Sie sind es, weil und sofern man mir Zeit lässt. Im Lesen schließt sich die Wunde Wahrnehmung, die von jeder ›Aufführung‹ klaffend offen gehalten wird.

Die Schrift ist näher am Denken als jedes andere ›Medium‹. Wie, womit und worauf geschrieben wird, davon lässt sich leichter absehen als von diesem Umstand. Eine Medientheorie, die ernst genommen werden will, muss darauf Rücksicht nehmen. Medienumbrüche, in ihrer Zeit wahrgenommen, mögen aufregend sein. Der, für den sie das Aufregendste sind, denkt nicht anders als Militärs, die sich für neue Waffensysteme erwärmen. Im Grunde interessiert es nicht, auf wen sie gerichtet werden. So sieht es aus mit der Wirkung. Heißt das, ich ziehe mich auf den Standpunkt der Philosophie zurück? Warum so giftig? Hat sie denn überhaupt einen Standpunkt? Ist sie ein Standpunkt? Wenn ja, dann fällt er nicht in sie selbst. Was kann die Philosophie so dezentrieren, dass ihr Standpunkt einsehbar wird? Zweifellos alles, was seinen Ausgang vom Leben nimmt: Wissenschaft, Werbung, Sport, Politik, Luxus, Sozialkampf, Gefühle, Konkurrenz, Beziehung. Religion? Kunst? Können diese beiden Philosophie überhaupt wahrnehmen? Wenn ja, wie? Irgendwie verzerrt? Irgendwie richtiger? Fest steht: Denken ist kein Medium. Denken ist nicht die Vermittlung von Gedanken, Vorstellungen, etc. an ein Gegenüber, ein Außen, einen Dialogpartner oder ein Publikum. Denken ist die Vermittlung von Gedanken mit Gedanken, ein Übergehen von Gedanken in Gedanken, ein fortwährendes Zusammenführen und Getrennthalten von Gedachtem, ein durch alle Anfechtungen hindurchgleitendes Aufrechterhalten von Differenz, aber kein Festhalten: wer festhält, memoriert, schreibt auf, fixiert. Denken geschieht also in Sequenzen, es lässt nach, verschiebt sich, verliert sich, findet sich, entspringt, springt auf, an, über, es wechselt, kann man sagen, den Träger, aber es ist in keiner medialen Fixierung enthalten. Ein Medium, das auf das Denken keine – oder eine nur sehr geminderte – Rücksicht nimmt, ist kein geeigneter Träger von Gedanken.