Wenn von 300 Titeln, die für mein augenblickliches Lesebedürfnis, für mein augenblickliches Thema, für meine aktuelle Zitationsnot in Betracht kommen, 200 im Netz teilpubliziert sind und der Rest nicht, so werde ich mich an diese 200 halten und den Rest vergessen. Wenn von diesen 200 Titeln jeweils 80% des Textes frei zugänglich sind und der Rest gesperrt ist, um den Verkauf nicht zu gefährden, so werde ich aus diesen 80% zitieren und den Rest mit einem gemurmelten Kenne ich seinem Schicksal überlassen. Benötige ich den Rest, so wird mich die Eitelkeit des Autors auf seine persönlichen Seiten lenken: dort, ich weiß es, werde ich es finden. Dieses Kalkül ist so simpel, dass kein vernünftiger Mensch darüber redet. Das heißt, die Praxis des Rippens, wie das in der Musikbranche heißt, die einst mit dem Kopierer in die Bücherwelt Einzug hielt, lässt das Prestige des Buches vordergründig in Kraft, aber sie demontiert es hinter den Kulissen. Wer Bücher liest, muss viel Zeit haben. Ein Mensch, der zu tun hat, ein Mensch, der aus Gründen liest, ein Mensch, der in eigene Projekte verstrickt ist, ein Mensch, der einen intelligenten Verkehr mit den Texten unterhält, liest keine Bücher, er wertet sie nach Methoden aus, die am besten funktionieren, wenn keiner hinschaut.
So betrachtet, ist das elektronische Buch ein Übergang, ein kommerzielles Kalkül. Auf der anderen Seite entspricht es offensichtlich einem Organisationsbedürfnis des Geistes. Die Altvorderen der Medientheorie haben allesamt Bücher geschrieben und ihre heutigen Adepten tun es ihnen nach. Sie konnten und können sich nichts anderes denken. Das Medium war und ist für sie eine andere Welt, eine Zirkuswelt, in der man ein paar Pferdchen mittraben lässt, für alle Fälle. Abgesehen davon, dass sie gewöhnt sind, ihre Gedanken buchförmig zu ordnen, setzt der Erwerb von symbolischem Kapital, dem sie nachgehen, die geordnete Welt des Buches voraus. Als Wissenschaftler sind sie Geburtshelfer, aber Vater, Mutter oder gar Kind zu spielen kommt ihnen nicht in den Sinn. Nicht das Medium fördert ihr Prestige, sondern sie fördern das Prestige des Mediums. Das Medium ist ihnen dankbar und transportiert ihre Theorien, als habe es in ihnen einen Pakt mit sich selbst geschlossen.
Immer sind Bücher gefleddert, benützt worden. Neu ist die Fledderung mit Hilfe von Zufallsgeneratoren zu Werbezwecken, die sinnleere Partialisierung durch Darreichung, die Demontage der Form durch die Form der Präsentation. Ob sie auf Dauer ist, mag dahinstehen. Aber die Praxis hat etwas gezeigt und darauf kommt es an. Sie hat gezeigt, wie löchrig die Ordnung des Buches ist. Ich erinnere mich eines Kommilitonen aus meiner Studentenzeit, der vorschlug, ein Buch vor der Lektüre mit einem Pistolenschuss zu durchlöchern: sei es danach noch lesenswert, dann lohne es die Lektüre nicht. Dieses Paradox lässt sich heute auflösen. Das Buch ist kein Buch, sondern eine Anmutung. Es rückt den Leser in Position. Ob letztere intelligent genannt zu werden verdient, kann man dahingestellt lassen. Unumgänglich ist die Einsicht, dass er sie wieder verlassen muss, um zu lesen und zu verstehen, was er da liest.