Keine moderne Wissenschaft existiert buchförmig. Keine Lehre ist auf das Lehrbuch angewiesen, es sei denn in dem sehr äußerlichen Sinn, dass sie erprobte Exemplare in Umlauf hält und Korrekturen, Ergänzungen, Revisionen in gesonderten Behältern nachliefert. Nirgendwo wird das Buch so unverhüllt als Fetisch betrachtet wie in den Wissenschaften. Kollege X hat ein Buch geschrieben. Soso. Ist er auch auf dem Laufenden? Wer ein Buch schreibt, will sich qualifizieren oder Tantiemen kassieren. Oder er will berühmt, also populär werden. Das ist gut für die Wissenschaft, denn es führt ihr Bewunderer zu.

Nirgendwo ist das Buch so sehr Gebrauchsgegenstand wie in den Wissenschaften. Überall dort, wo seine Form hinderlich wird, verschwindet es auf der Stelle. Das beginnt bei der Beschaffung: wo das elektronische Buch verfügbar ist, erübrigt sich der Gang in die Bibliothek. Wo die Information direkt verfügbar ist, erübrigt sich der Blick ins Buch. ›Direkt verfügbar‹ heißt: ohne unnötige Komplikationen, ohne Umwege, ohne Beiwerk, das den Blick auf die zu verhandelnde Sache trübt, ablenkt oder verwirrt. Das hat einen medientechnischen und einen medienkulturellen Aspekt. Direkt verfügbar ist, was auf dem gängigen und gültigen Stand der Technik dargeboten wird.

Die Literatur im Netz beginnt, wo die sogenannte Netzliteratur endet: der Versuch, das Medium selbst als eine Form der (digitalen etc.) Poesie zu verstehen und auszubeuten. Dieser Versuch endet angesichts der ausgewachsenen Realität des Netzes von selbst. Die Poesie muss niemandem mehr hineinhelfen, nicht einmal sich selbst, sie ist bereits drin. Allen voran die Klassiker: zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte sind sie kostenlos und unbeschränkt zugänglich. Das ist eine gewaltige Revolution, die sich nebenbei, gleichsam an den Rändern der Jagd nach dem Neuen vollzogen hat. Vor dieser nahezu lautlosen Präsenz vergeht die Poesie des Netzes von selbst, ein Missverständnis, eine mentale Brücke, ein Versuch, schneller zu sein als die Konkurrenz, der mit dem Eintreffen der Konkurrenz seinen natürlichen Abschluss findet. Avantgarden sind kurzlebig oder sie verwandeln sich in Karikaturen ihrer selbst.