Ist Denken ›Philosophie‹? Die Frage darf man beiseite lassen. Kein System, keine Schule, keine ›Disziplin‹ ist dem Denken näher als das Denken selbst, also auch der Denkende. Das Kino ist kein geeigneter Ort für das Denken, ebenso wenig der Konzertsaal oder das multimediale Studio. Die Denkklause hingegen ist kein sozialer Ort, sondern die räumliche Übersetzung eines Zustandes. Bekanntermaßen denkt es sich besser im Gehen als im Sitzen, aber das trifft nicht immer und nicht auf jeden zu, ist also als marginal zu bewerten. Nicht der Denkende ist bei sich selbst, sondern das Denken. Wenn ich mein Gedächtnis als ›Speicher‹ betrachte, aus dem ich hin und wieder einen Gedanken ›abrufe‹, dann ist das eine ergötzliche Vorstellung, aber ein ziemlich abenteuerlicher Gedanke, der sich mit anderen stößt, zum Beispiel dem, dass jemand sich etwas ›ins Gedächtnis‹ ruft, als sei es eine Bühne oder ein Zimmer, in dem anstehende Entscheidungen fallen oder furchtbare Strafen verhängt werden. Ob Verkaufsraum oder Tribunal, ob Gericht oder Richtplatz, Gedächtnis oder gnadenloses Jetzt: der Ort, an dem Denken geschieht, ist jedes Mal herbeiphantasiert, er ist ›im Denken‹, nicht das Denken, er tut nichts zur Sache. Wer denkt, ist dem Denken sehr nahe, dennoch ist er nicht der oder das Gemeinte. Noch weniger ist er jemand, der Gedanken überbringt, ein Bote oder ein Gedankenführer. Theorie ist Gedankenführung. Aber vielleicht lassen sich Gedanken nicht führen wie Argumentationen oder Beweise. Trotzdem sind letztere nur im Denken vorhanden, nicht auf dem Papier oder in einem elektronischen Behälter.
Ist Kunst Denken? Viele würden das verneinen. Kunst ist Unterhaltung, eine Erlebnisschablone, die, sinnreich fixiert, immer wieder ›aufgerufen‹ und ›aktiviert‹ werden kann. Man merkt die Maschinensprache und ist verstimmt. Nicht, weil man ihr eine organische entgegenhalten möchte, sondern weil die Auskunft die Frage unter sich begräbt. Kunst ist demnach das Medium, wie es sich dem unbefangenen Rezipienten darstellt: als Anlass für das freie Spiel seiner Einbildungskraft. Kunst = Nichtkunst, die hohe Kunst der Verschleierung, dass auf ihre Herstellung Arbeit und Mühe verwendet wurden. Wer soll hier getäuscht werden? Dankbarkeit und Bewunderung auf Seiten derer, die sich ›blendend‹ unterhalten fühlen, die überhaupt gestehen, geblendet zu sein: Ist das der ›Lohn der Kunst‹? Es gibt genügend Künstler, genügend Schriftsteller, die es so sehen. ›Rein empirisch‹ entspricht es also den Tatsachen. Bleibt nur die Frage, was das So-Sehen mit dem Kunst-Sehen verbindet. Der Künstler als soziales, als befragbares Wesen ist eine zweifelhafte Größe, die Rede schwankt mit dem Erfolg, sie kann sich mühelos ins Gegenteil verkehren. Und wenn es Ressentiment wäre, das sich in ihm zu Wort meldet: Warum sollte man weghören, wo man vorher zugehört hat?
Das ›reine Denken‹ ist ein Präparat, dazu bestimmt, unters Mikroskop gelegt und nach bestimmten Kriterien abgesucht zu werden: Kriterien der Brauchbarkeit, der Disziplin, der Methode. Das wirkliche Denken ist gefühls- und vorstellungsbehaftet, was seiner Genauigkeit und Kühnheit keinen Abbruch leistet. Dieses wirkliche Denken ist zu befragen, wenn es um die Kunst geht. Daher die erste Frage: Wie ›wirklich‹ ist dieses wirkliche Denken? Denn ›wirklich‹ lässt es sich gar nicht verfehlen, da jeder Gedanke, also auch dieser, in ihm und durch es ›gegeben‹ ist (wenn man von der Vorstellung denkender Maschinen einmal absieht). In gewisser Weise ist der Ausgang vom wirklichen Denken nichts als das Versprechen, keinen Aspekt des Denkens von der Untersuchung methodisch auszuschließen. Die Kunst denken hieße also das Denken der Kunst denken. Das ist etwas anderes als die unbeantwortbare Frage: Wie denkt die Kunst? Die Kunst denkt ebensowenig wie die Philosophie oder die Wissenschaft. In der Kunst wird gedacht, von ›denkenden Wesen‹, um das so stehen zu lassen, in jenem Raum, in dem künstlerische Techniken und Gebilde ›gewusst‹ sind. An diese Techniken, an diese Gebilde kann beliebig hingeredet und hingedacht werden, weil sie eine gewisse Festigkeit besitzen – weil es genug davon gibt. Was immer man weggibt, was immer dazukommt, es verändert die Bestände nur marginal. Man macht sich das nicht oder nur ungern bewusst, weil es die Möglichkeit, etwas neu zu machen, etwas neu zu entwerfen, die Kunst neu zu entwerfen, zu beeinträchtigen scheint.