Die Kultur wird also ›umbrochen‹, so wie ein Acker umbrochen wird. Das Alte ist abgeerntet, die Generation, die gerade am Zug ist, lebt davon und wünscht neu zu säen. Schöpferische Zerstörung hieß das eine Zeitlang bei den Ökonomen. Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses ist der Begriff der schöpferischen Zerstörung, umgelegt auf die Kultur. Dieses Reich – also etwa das Mittlere Reich Ägyptens oder die Epoche der Han-Dynastie oder das augusteische Imperium oder die ›christlich geprägte Zivilisation des Westens‹ – war von langer Dauer: Konstanten, wohin wir blicken, minimale Schwingungen, selbst die größten Innovationsschübe stehen in Kontinuitäten, die sich ›immer wieder‹ als stärker erweisen, deren Bindekräfte überwiegen. Das ist vorbei. Was wir heute sehen, ist eine Neuformierung, die zum ersten Mal den ganzen Umfang jener Kontinuitäten erahn- und erforschbar macht. Wenn wir uns dieser Mühe unterziehen, wächst unsere Chance, nicht nur zu erfahren, woher wir kommen, sondern auch, wer wir sind. Mit welchem Gepäck besteigen wir den Flieger, der uns entführt? Das ist wichtig, andernfalls wüssten wir nicht, warum wir so denken, wie wir denken, warum wir tun, was wir tun. Nun, da wir es wissen, können wir uns beruhigt anschnallen. Irgendwo werden wir herunterkommen und unser Gepäck wieder in Empfang nehmen. Wir wissen noch nicht, ob und wie wir es brauchen können, aber wir wissen, dass wir auch das herausfinden werden. Nur der Inhalt des ›wir‹ wird sich gleitend verwandelt haben: nicht wir werden es sein, die das herausfinden, sondern andere. Wir selbst sind das Gepäck für andere, die nach uns kommen. Das heißt, sich in Form bringen.