In der Kunst, in der Literatur kann man beobachten, was es heißt, sich in Gepäck zu verwandeln. Schreiben heißt, das Vor-sich-Hinleben ›aufbrechen‹ und durch ein Leben-vor-anderen‹ zu ersetzen. Das ist, nebenbei, der Sinn der Berufsschriftstellerei: die Ausstellung des eigenen Lebens bedeutet ›Erfolg‹, der in Zahlen messbar ist: Auflagenzahlen, Verkaufszahlen, Zahl der Rezensionen, Dissertationen etc. Nicht die Bibliothek, schon gar nicht die ›Volksbibliothek‹, dieses langsam verdämmernde Gebilde, ist das eingebrannte Ziel der Berufsschriftstellerei, sondern die Ausstellung, in der der Autor zwischen seinen Büchern flaniert und jedem ins Ohr flüstert: »Ich bin es, ich bin es selbst«. Solange das Schreiben ›harte Arbeit‹ ist, bleibt dieser Aspekt gnädig verhüllt, er tritt hervor, sobald einer ›gut leben kann‹ von dem, was er treibt, sobald er es ›geschafft‹ hat. Also muss er es schaffen. Mit der Ausstellung schiebt sich das Problem der Dauer nach vorn – wie lässt sich konservieren, was hier zu Tage tritt? Die Konserve ist das eigentliche Problem der Berufsschriftstellerei. Eingehen ins kulturelle Gedächtnis bedeutet für sie, einen jener Behälter zu kapern, die am Terminal durchgewunken werden. Wenn wir in die Zukunft reisen, kauert das mitreisende Ich in jedem Gepäckstück und fürchtet, entdeckt und abgeführt zu werden. Noch mehr aber fürchtet es, in einen jener Container zu geraten, die zurückbleiben und irgendwann entsorgt werden: dead end. In dieser Hinsicht sind die atombombensicheren Bunker der Sechziger ultima ratio – dort wird verwahrt, was die Menschheit überdauern soll. Doch auch in ihnen wird umgeschichtet und aussortiert, wie man gelegentlich hört. »Denn Bleiben ist nirgends.«
Die Ausstellung und die Konserve sind die Formen, in denen das kulturelle Gedächtnis den Inhalt der Kultur dominiert. Beide sind Medien, mehr oder weniger bewusste ›Leitmedien‹ dessen, was eine rüde, aber zutreffende Sprache den Kulturbetrieb nennt. In der Sprache derer, die es anginge, ist das nicht sonderlich gut verankert. Aus gutem Grund: solange ich mit der Wahl des passenden Ausstellungsrahmens, der haltbarsten Konserve, des optimalen Mediums beschäftigt bin, kann ich die Augen davor verschließen, wie sehr sich die Bühnen und Kanäle gleichen und dass an allen Stapelorten das gleiche Problem der Überfüllung herrscht. Ich kann die Augen davor verschließen, dass es mich nicht gibt, jedenfalls nicht in den Dimensionen, in die ich gern vorstoßen würde. Welches sind diese Dimensionen? Offensichtlich die der im Entstehen begriffenen Weltkultur, der nach vorne, in die Zukunft gestülpten Welt des anthropos, die Kultur heißt. Die Idee des kulturellen Gedächtnisses, einmal gefasst, lässt nichts anderes zu. Aber diese Welt ist eine Projektion der Vergangenheit. Nicht eines oder des Vergangenen, über dessen Vergangensein als spezifische Form seines Vorhandenseins – als ›Gedächtnisinhalt‹ – die Theorie Auskunft gibt, sondern der Vergangenheit selbst: der Kulturschaffende stellt sich nicht tot, er stellt sich vergangen.