Wie in der Kunst gedacht wird, liegt also nicht ganz im Belieben dessen, der sich da tummelt. Es liegt auch nicht ganz im Belieben derer, die sich gegenwärtig darin tummeln. Kunst ist kein soziales Medium. Für den, der da ein Problem sieht: ja, da liegt ein Problem. Es geht in der Kunst zu wie den Kirchen: jeder Versuch, sie von der Gegenwart her zu denken, sie im Hier und heute und seinen ›Problemen‹ zu zentrieren, führt in die Abspaltung. Da genau dies andauernd passiert, sieht man eine gewisse Zweipoligkeit: konzentrische Kreise um ein imaginäres Jetzt und um ein ebenso imaginäres Immer, die eine gewisse Anziehungskraft aufeinander auszuüben scheinen, so dass sie in einem unbestimmten Dazwischen in einander übergehen und miteinander verschmelzen. In der Kunst, heißt das, gibt es keine klaren Begriffe. Es gibt keine eindeutigen Programme. Es gibt auch keine fest umrissenen Probleme. Kunst ist dieser stetige Übergang aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Vergangenheit besitzt ein Übergewicht. Es ist ihr Spiel, das sie mit der Gegenwart, mit den Heutigen spielt: Seht her, ihr seid Häutige, durch und durch Häutige, soll heißen: euer Neues ist ein Stück Haut, die sich an dieser Stelle erneuert. Fehlt sie, so wird der Kontakt noch schmerzlicher, als er ohnehin ist. Er geht auch nicht ohne Verletzungen ab, euer hautloser Körper ist eine einzige Wunde.

Ist Kunst darum ›kulturelles Gedächtnis‹? Ist sie überhaupt ›Gedächtnis‹? Die Frage kann Befremden hervorrufen: ja was denn sonst? Was geschieht, wenn man sich Kunstobjekte ›ins Gedächtnis ruft‹, also aus dem externen in den internen Raum hereinbittet, in dem sie als vergangene gegenwärtig sind? Sie bleiben Objekte, die man vergleichen, analysieren etc. kann. Man nennt sie Kunstwerke, man könnte sie auch X nennen, Monumente, Relikte, Abfall, Mörtel, es käme alles auf das gleiche heraus. Als ein Stück externalisiertes Gedächtnis sollen sie etwas aufbewahren, eine Information, etwas ›Kulturelles‹, was immer das sein mag. Sie sind also Behälter, Medien. Als Elemente des kulturellen Gedächtnisses sind Kunstwerke Mittler zwischen vergangenen Menschheitszuständen und dem Heute, auf die Vergangenheit gerichtete Teleskope oder dergleichen. Sie vergegenwärtigen ein Vergangenes. Diese Sicht auf die Kunst hat die Tendenz, sie nicht nur zeitlich, sondern auch begrifflich zu entgrenzen: Monumente zu Dokumenten. Das kulturelle Gedächtnis ist das Ende des kulturellen Gedächtnisses. Etwas als ›Kultur‹ denken heißt: eine Wertigkeit in eine andere auflösen.