Literatur, wir wissen es, dient dazu, der einen oder anderen Behauptung über das Leben mehr Nachdruck zu verleihen, als ihr ohnehin zuteil wird. Woher wir das wissen? Weil ›wir‹ in genau dieser Haltung an sie herangehen, gleichgültig, ob von Autoren- oder Leserseite, von Seiten der Rezensenten, der Preisverleiher oder der Literaturwissenschaftler. Wir gehen in dieser Haltung an sie heran, weil wir sonst überhaupt nicht wüssten, wie und vor allem warum wir an sie herangehen sollten. Nicht zuletzt beweisen das all diejenigen, die ›schon seit Jahren‹ nicht mehr an sie herangehen, die es aufgegeben haben, weil es ihnen nicht lohnend erscheint, sich der auf dem Markt angebotenen Geschmacksverstärker zu bedienen, sei es, dass sie allen Geschmack daran verloren haben, sei es, dass ihnen in einer Welt des forcierten Nachdrucks der geringere oder trockenere Ausdruck genügt. Niemand glaubt, in literarischen Texten des ›Neuen‹, des ›Unverhofften‹, des ›Unvorhersehbaren‹ ansichtig zu werden. Ein Beleg dafür ist das verbreitete Faible für Kriminalgeschichten. Das Kalkül der Kriminalgeschichte erlaubt nur eine sehr begrenzte Zahl von Varianten. So wird ihre Dauerlektüre zu einem Exzess an Wiederholung. Man kohabitiert gern mit den Damen und Herren Verbrechern und ihren Verfolgern. Warum? Weil ihr Verhalten leicht ausrechenbar ist. Es wirkt so vertraut, dass es dem Gemüt näher geht als das eigene. Unter ihnen wählt man seine Lieblinge nach dem Weltaspekt aus, den sie diskret oder penetrant unterstreichen, mit einem Ausrufezeichen oder einer Marginalie versehen, auf jeden Fall verstärken, aus den übrigen herausheben und damit als Sinnstifter markieren. Niemand glaubt diesem Sinn, es sei denn ein ganz klein wenig – Literatur ist keine besonders aufregende Sache. Wenn Literaturwissenschaftler keine Krimis lesen oder fernsehen, dann arbeiten sie. Man merkt ihren Schriften die Erleichterung an, wenn sie von der Lektüre der so genannten Primärtexte wieder zur Lektüre von ihresgleichen zurückkehren dürfen. Hier kennen sie sich aus, hier stehen die gewohnten Wörter in einer Folge, die ebenso vertraut wie verständlich anmutet, hier kann man die anstrengende Habachtstellung vergessen, die noch der erbärmlichste literarische Erguss von ihnen verlangt. Auch Literaturwissenschaftler sind nur Leser. Ihr Lektüreglück beginnt dort, wo es für die übrige Welt abrupt endet: unter Kollegen.