Der Literatur ist ihr funktionalistischer Aufbruch in den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts nicht gut bekommen. Eine Zeitlang dominiert darin der ›Neue Mensch‹: er verbindet die Ismen, die gegen die bürgerliche Idolatrie der ›angeblich zweckfreien‹ Kunstwerke den Aufstand probten. Ihren Krieg gegen das Ästhetische lesen wir als Krieg der Definitionen, in dem das lauteste Megaphon den Ausgang der gerade anstehenden Schlacht bestimmt. Das wirkt komisch, aber nicht so lähmend lächerlich wie der Frieden, der auf die Kämpfe folgt. Nach dem Durchgang durch jede denkbare ethische und weltanschauliche Attitüde, nach den Helden- und Schandtaten eines Jahrhunderts im Sold der Freiheit wie der Mächte der Finsternis, der aberwitzigen Befürchtungen und der überschießenden Hoffnungen dümpelt die Literatur im Rattenkeller der Bücherlesen-macht-schlau-Apostel vor sich hin wie das verrostete Kriegsmaterial einer verflossenen Zwergen-Seemacht. Wir waren ein großes Geschlecht, einmal, wir Klagen. Vorausgesetzt, die Heutigen wollen es glauben: Wie konnte es zu diesem Abstieg kommen? Sind die Schlachten der Literatur geschlagen? Ist Literatur ›outdated‹? Ist sie – horribile dictu – nicht länger funktional? In dem Fall erhebt sich die weitere Frage: Sind es dann jene immer wieder aufgelegten, längst ins Netz gestellten, mit einem dichten Forschungskokon umsponnenen Klassiker, deren Funktionalität zu ihrer Zeit außer Frage steht und denen noch immer ein überwiegendes, jedenfalls theoretisches Interesse gilt? Die Frage enthält eine unfaire Unterstellung, denn sie unterschlägt die hohe Funktionalität der Literatur, die bei den Ratten dümpelt und die unsere ist, zweifelsfrei die unsere. Wir tun uns nur schwer damit, sie anzuerkennen. Wir erkennen sie nicht an, weil sie allzu leicht durchschaut werden kann. Unsere Literatur ist eine Maschine, die Geld ausspuckt (nicht zu viel, aber ausreichend, um Interessen zu erzeugen), die Reputation ausspuckt (nicht zu viel, nicht für viele, nicht zu weitreichend, aber ausreichend, um den Bedarf eines ›Kulturstaats‹ zu decken), und die an einem Ort plaziert ist, der seit langer Zeit unter Beobachtung steht, also Identität, sprich Dauer verspricht, auch wenn zur Zeit andere Beobachtungsposten Aufregenderes in die gesellschaftlichen Diskurse einzuspeisen wissen.

Warum verweigern wir dann die Anerkennung? Ganz einfach: diese Art Funktionalität ist dysfunktional. Die Belletristik, wie ihr ungeschminkter Markttitel lautet, ist kein ernsthafter Wirtschaftszweig wie die Produktion von Teddybären oder Spielzeugeisenbahnen oder Fernsehfilmen. In ökonomischer Hinsicht kommt sie nicht in Betracht. Auch als Reputationsgenerator kommt sie nicht in Betracht. Es bedarf der seltsamsten Verrenkungen, damit die Medien einen Schriftsteller wahrnehmen. Die Ränge wahrer Prominenz bleiben ihm sowieso verschlossen. Und als Gegenstand jener famosen ›Beobachtung zweiten Grades‹, des Selbsterhaltungsinstruments selbststeuernder Systeme, ist bereits der Karneval, wie man seit Bachtin zu wissen glaubt oder zu glauben weiß, der Literatur so überlegen, dass die Literaturwissenschaft aus ihm, soll heißen, aus dem Spektrum der von ihm repräsentierten Strukturen, einen Großteil ihrer tatsächlichen Untersuchungsgegenstände bezieht. Das klingt nach Karikatur, doch es ist so. Wer behaupten wollte, unsere Literatur sei ein wenig nichtssagend, würde feststellen, dass es jeder bereits weiß. Man spricht so einfache Sachverhalte nicht aus. Und da dem so ist, sollte man auch das Intelligenzproblem dabei nicht ganz außer acht lassen. Die vorgängige Selektion, die bestimmt, welche Intelligenztypen oder -muster, vor allem, welche Intelligenzgrade an gewissen Orten der Gesellschaft auftauchen, vollzieht sich lautlos, aber effizient. Die Schriftstellerei ist ein abgesunkener Traumberuf, dem andere den Rang abgelaufen haben.