Was den ersten Gesichtspunkt, die mangelnde Konditionierung der Leserschaft angeht, so erledigt er sich weitgehend von selbst. Man muss aber zugeben, dass er sich bisher nicht erledigt hat. Dafür ist ein solcher Prozess zu langwierig und von zu vielen, auch biologischen Determinanten durchsetzt. Aber er erledigt sich. Es geht denen, die mit dem ›alten‹ Lesesystem groß geworden sind, wie den Anhängern der ›alten‹ Rechtschreibung: je mehr sie auf ›ihrem‹ System beharren, desto unbemerkter entgleitet es ihnen. In der Theorie fällt es nicht schwer, die unterschiedlichen Regelsysteme auseinander zu halten, in der Praxis hingegen ergibt sich sehr schnell das Problem der Gewöhnung bzw. Entwöhnung: das Lesen wird fehlerhaft, vielleicht nur in einem Medium, vielleicht auch – das ist die schlechtere und zugleich wahrscheinlichere Variante – in beiden. Lesefehler sind Konzentrationsfehler, die sich zwar leicht ausbügeln lassen, aber nur mit erhöhtem Zeitaufwand und keineswegs dauerhaft, weil sie mit der Zeit Bestandteil des Umgangs mit dem Medium werden, ein fester Bestandteil, den der Lesende vor sich selbst abdunkelt. Die heutigen Lesegenerationen sind Generationen von fehlerhaft Lesenden. Vermutlich werden sie von den Nachfahren belächelt, weil ihnen so vieles entgeht, obwohl sie so stolz auf ihr gesteigertes Medienbewusstsein daherkommen. Da auch Schreibende an erster Stelle Lesende sind, teilt sich dieser Mangel dem Schreiben mit – auch dies ein schleichender, obgleich nicht unbemerkt gebliebener Effekt.

Das lenkt den Blick auf den zweiten Gesichtspunkt. Es leuchtet ein, dass, was als Buch geschrieben wurde, als Buch gelesen sein will. Was bedeutet dieses ›als Buch‹? Betrachtet man den Konzentrationsbogen, den das Lesen eines Buches aufbaut und der über Erfolg oder Misserfolg einer Lektüre entscheidet, so lässt sich die konkrete Buchgestalt als ein Ensemble von Handreichungen verstehen, die den schwierigen Akt der Lektüre stützen. Das beginnt bei haptischen Elementen. Ein Buch muss unauffällig-angenehm in der Hand ruhen, sich leicht aufschlagen und erblättern lassen etc., es muss den Akt der räumlichen Separierung, die bequeme Leseposition, eine – rein gewichtsmäßig – unbeschwerte Lektüre und eine Reihe anderer, zum Teil recht subtiler Genüsse ermöglichen. Lesegeräte für E-Books können nicht alles, aber vieles davon und dies zum Teil besser als das gedruckte Buch. Sie ›können‹, soll heißen, sie bieten Funktionen an, die man als Leser benützen kann und die im Effekt denen des Buches entsprechen, also funktional äquivalent sind. Zu Büchern werden sie dadurch nicht. Sie sind funktional, bezogen auf die Vorgabe Buch, sie simulieren ›das Buch‹, etwas, das es während der ganzen Geschichte des Buchdrucks so nicht gegeben haben. Sie simulieren eine Fiktion. Man kann sich aber fragen, ob es sinnvoll ist, das Leseschema ›Buch‹ auf diese Weise zu konservieren, sobald die Notwendigkeit, Bücher zu drucken, entfallen ist. Wären da nicht die stupenden Speicherfähigkeiten des Chips, so wären E-Books leicht als das zu enttarnen, was sie wohl wirklich sind: nützliche Spielzeuge für Leute, die technisch mithalten wollen, ohne ihre Lesegewohnheiten zu ändern, weil sie sich nicht vorstellen können oder wollen, dass gerade dies seit längerem unter der Hand geschieht.