Nun besitzt das Kaleidoskop die Anmutung des Wunderbaren. Das Auge, sprich: das spontane Bildverstehen kann sich die Bilder, die ihm vorgesetzt werden, nicht erklären. Die Diskrepanz zwischen den Objekten, der einfachen, rasch erklärten Technik und dem Gesehenen bleibt auch dann bestehen, wenn optisch korrekt geklärt ist, wie die Bilder zustandekommen. Das Kaleidoskop ist also ein Zauberapparat und das nicht zuletzt deshalb, weil es so einfach gebaut ist, dass buchstäblich jeder es herstellen kann. Die Aufforderung, eine Erzählung so zu lesen, als blicke man durch ein Kaleidoskop, enthält also die Anmutung, sich verzaubern zu lassen und zu diesem Zweck ein ganz klein wenig selbst zu zaubern – wie sonst ließe sich ein geeignetes Kaleidoskop im geeigneten Moment herbeischaffen? Als Lohn der Mühe winkt der Anblick des Wunderbaren als Bild, das der Leser lesend und dem Gelesenen nachsinnend in sich selbst erzeugt. So verstanden wäre die Erzählung tatsächlich eine Anordnung zur Erzeugung eines oder mehrerer Bilder, die sich in der Struktur gleichen. Es wären Bilder, die der sinnenden Aisthesis unerklärlich bleiben, auch wenn ihr Zustandekommen geklärt ist.

Wenn ein Maler oder allgemeiner gesprochen, ein bildender Künstler, zu schreiben beginnt, warum sollen dann keine Bilder herauskommen? Wenn nicht das Bild auf der Netzhaut, sondern das Bild ›im Gehirn‹, also im imaginierenden Bewusstsein, das Ziel ist, dann vermischen sich die Künste so, wie man es seit der Romantik und der sogenannten klassischen Moderne gewöhnt ist. Mit Worten malen ist ein alter, aus der Antike stammender Topos, der schon bessere Tage gesehen hat. Zur Erzeugung der Bilder bedarf es weder eines Kaleidoskops noch der Vorstellung eines Kaleidoskops. Es müssen schon besondere Bilder sein, die den – zunächst verbalen – Aufwand rechtfertigen. Oder Bilder, die etwas Besonderes zeigen, so wie Bilder, die mittels eines Kaleidoskops erzeugt werden, den Anblick kaleidoskopischer Bilder bieten, den jeder kennt, gleichgültig, was darauf im Einzelfall zu sehen ist. In diesem Fall gäbe es also einen beabsichtigten Wiedererkennungseffekt, der sich auf das Genre ›Kaleidoskopbild‹ bezieht – aber natürlich wiederum in einem übertragenen Sinn, denn ›wir wissen noch nicht, was eine kaleidoskopische Erzählung ist und wie sie zu lesen wäre‹. Der Ausdruck Kaleidoskopische Schriften muss aber im Leser etwas aufrufen, was dort abrufbereit gelegen ist. Andernfalls könnte eine kaleidoskopische Lektüre erst gar nicht in Gang kommen.