Jeder größere Gesellschaftseinsturz lässt Verstörte zurück, die sich in der Realität nur mühsam zurechtfinden. Ihr Weltverhältnis ist, wie man sagt, schütter. Soll heißen, eine leise Erschütterung, die unter anderen Umständen leicht weggesteckt würde, schafft kleine und große Einstürze, mit denen keiner rechnen kann, und damit ein neues, vielleicht flüchtiges Wahrnehmungsmuster, das der Welt ein anderes Aussehen verleiht. Es gibt also eine Mechanik der Verstörung, die der Herstellung von Kaleidoskopbildern entspricht. Ein Künstler, in dem diese Mechanik wirkt und der sie nicht durch überharte ›Aussagen‹ überspielt, könnte sich also leicht als eine Art Kaleidoskop begreifen und ›existenziell‹ interpretieren. Dabei ist die Existenz daran das am wenigsten Interessierende – heraus kommt immer der ›Wurf‹ und das ›Geworfensein‹. Bedeutsamer könnte sein, dass die ›Zerrüttung‹ und das ›Zerrüttetsein‹ zu sprechen beginnen, dass sie sprechend werden, ohne unter der Alltagsformel begraben zu bleiben oder als Trauma unter den Einfluss von Fremddeutungen zu gelangen. Wer ›Trauma‹ sagt, will erreichen, dass die Wunde sich schließt. Das setzt voraus, dass es für den Verstörten einen Weg zurück in die Normalität gibt. Wenn aber die ›Zerrüttung‹ in der Realität fortdauert, wenn sie die gewonnene Realität genauer bezeichnet als jedes Konzept, dann ist der Verstörte eine Auskunftsquelle, die man nicht leichtfertig verschließen sollte.

Andererseits: Verstörtheit ist kein Konzept. Verstört sein heißt nicht Künstler sein. Kunst, die das Mal der Verstörung trägt, ist nicht ›groß‹. Sie ist auch nicht klein, sie macht zu viel Druck oder zu wenig, sie ist zuviel Ausdruck. Kaleidoskopie ist die Kunst des schwebenden Ausdrucks, des Selbstausdrucks der Kunst. Manche Menschen stört das, sie fühlen sich in ihr ›nicht aufgehoben‹. Das ist bedauerlich, aber nicht leicht zu ändern. Andererseits bietet sie auf jeder ihrer Seiten den Anblick eines Rätsels, das nicht gelöst werden muss. Ödipus vor der Sphinx ist bereits auf dem Weg nach Theben, er muss seine Aufgabe lösen. Der Tourismus hat den Menschen ein anderes Verhältnis zur Kunst beigebracht, ein oberflächlicheres, soll heißen, ein mehr an den Oberflächen dahingleitendes, eines, das im Gehen bleibt und im Bleiben geht. Das muss nicht schlecht sein, jedenfalls ist es ›wirklich‹. Wer die Sphinx betrachtet, kennt die Irrwege des Ödipus oder er kennt sie nicht, in jedem Fall öden sie ihn an. In diese Falle wird er nicht gehen. Der Anblick der Sphinx hilft ihm dabei. Er ist ›hinreißend‹, doch eigentlich hält er zurück.