Kaleidoskopische Lektüre: leicht angestrengter, jedenfalls überraschungsbereiter Blick in einen Raum mit dunklen Rändern und einem schwebenden, farbintensiven, lichtdurchströmten Zentrum, das sich mit einer leichten Bewegung der umblätternden Hand oder des weiterlesenden Auges verändern lässt, ohne sich zu verschieben und ohne seine Struktur zu ändern. Gleichsam eine erklärungsunwillige Lektüre, die von keinen festen, an ihren Rändern verankerten Gegebenheiten ausgehen will, so wie sie im Grunde nicht abgeben, nicht teilen will, was sie sieht und gesehen hat, weil sie die Gefahr kennt, dass das ›Mirakel‹ erlischt oder die aufgeklärte Haltung des folgenden Lesers daraus ›nichts Besonderes‹ macht, vielleicht sogar einen kindischen Anblick. Der Bezug zum Kindlichen ist immer gegeben, er lässt sich diskret unterstreichen, aber nicht leugnen. Kinder lieben Kaleidoskope, sie scheinen Geräte zu sein, die in höherem Maß in ihre Welt ›passen‹ als in die von Erwachsenen. Dieses Passend-Unpassende ist vielleicht ein größeres Problem, als bisher sichtbar wurde.
Wenn es nicht um die Bilder ginge? Wenn es um das Lesen selbst ginge? Wenn es um das sich langsam weiterdrehende Lesen ginge, das an jeder beliebigen Stelle Muster entwirft und entwerfend interpretiert? Keine Erzählmuster, sondern ›Muster von Erzähltem‹? Was könnte das sein? Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Der Trick, die gewählte Stellung der Spiegel, wenn man so will, die genau dieses Muster hervorbringt, bleibt außerhalb der Wahrnehmung. Wahrgenommen wird das Muster, aber in so grandios voneinander abweichenden, vom Zufall der Bewegung hervorgebrachten Arrangements, dass der Eindruck des Einmaligen, Überraschenden von Arrangement zu Arrangement überwiegt. Das einzelne Arrangement ist wiederum Sache des Lesers, dem Rhythmus seiner Lektüre überlassen, dem Takt, in dem er weitergeht und ›verweilt‹, konzentriert aufnehmend oder in Gedanken und Empfindungen schweifend. Die Erzählungen wären Erzählungen ›im Raum‹ des Erzählbaren, so wie sich die kaleidoskopischen Bilder im Raum des Sichtbaren zeigen, aber berührungsfrei, mit schwarzen, soll heißen bezuglosen, interpretationsfreien Rändern, die den Trick nicht verraten, dem sie ihre Entstehung verdanken. Ein Kaleidoskopbild ist keines mehr, wenn es sich ›aufgezeichnet‹, soll heißen, auf einem neutralen Träger inmitten eines Kontinuums von Wahrnehmbarkeiten, dem Blick darbietet. Entsprechend wäre die kaleidoskopische Erzählung keine mehr, sobald sie nacherzählt, interpretiert, eingeordnet, verwendet, in die Welt der ›Erwachsenen‹ überführt wird. Was also soll man über sie sagen?