Die Sprache ist der gemeinsame Gott der Schriftsteller, sie können ihn nur in den Worten der eigenen ›Religion‹, d.h. Poetik, gelten lassen, aber sie haben nichts dagegen, als Monotheisten behandelt zu werden, darin sind sie sich einig. Die Kompetenzfrage spielt darin eine nicht zu unterschätzende Rolle. In puncto Sprachmonotheismus fühlen sie sich kompetent, sprich zuständig, und zwar in gleicher Weise, was heißt, dass jeder Versuch, sich auf diesem Feld zu artikulieren, unausweichlich auf das Lessingsche Ringparadox führt. Wenn alle recht haben, kann keiner Recht haben. Das wiederum würde bedeuten, dass alle Unrecht haben, was keinem recht sein kann. Es kann keinem recht sein, weil es den (realen) Wertverlust des Ringes nach sich zöge. Daher geht es zwischen Schriftstellern zu wie zwischen Religionsunterhändlern, die wissen, dass sichtbar oder unsichtbar unter ihnen Vertreter der Ethnologie, der Vergleichenden Religionswissenschaft und ähnlich anspruchsdämpfender Disziplinen sitzen. Als Sprachvertreter sind Literaten Zwitterwesen: halb lebendige, halb ausgestopfte Exemplare aus den Regalen der Wissenschaft, die ihnen Unbehagen bereitet, ohne dass sie ihr Paroli bieten könnten oder auch nur wollten. Denn diese Wissenschaft sagt ihnen – und einem mäßig interessierten Publikum –, was Literatur ist. Dafür brauchen sie sie, anders wäre aus der babylonischen Sprach‑ resp. Anspruchsverwirrung nicht herauszufinden. Andererseits kennen sie die Urteilsabstinenz der Wissenschaft, den objektivistischen Trick, und sind deshalb nicht über Gebühr beeindruckt.

Wenn man Dichtung als Entladung, als Genötigt- und Getriebensein thematisiert, bringt man sie in die Nähe von ›psychischen‹, wenn nicht psychiatrischen Phänomenen. Das Traumakonzept ist nur eine der gängigen Varianten. Der Schreibende spielt eine Reihe sakraler Artikulationen durch, um sich zu dem in Verhältnis zu setzen, was sonst in ihm bliebe oder in mühsamen Sitzungen an den Tag gebracht werden müsste. Er verfügt über diese Möglichkeit, weil die sakrale Sprache Artikulationsmuster zur Verfügung stellt, die den objektivistischen Weltzugang dadurch unterlaufen, dass sie die Existenzfrage in den Bereich des Mit-Worten-Tuns verschieben. Der objektivistische Weltzugang, einst die Paradenummer von Wissenschaft, ist das Revier einer nicht aufbruchsfähigen oder -willigen Klasse ›objektiv‹ Leidender. Objektiv leiden bedeutet, die Quelle des Leidens zu externalisieren. Auch das körperliche Leiden ist eine solche Externalisierung. ›Den Körper annehmen‹ wäre ein erster Schritt dazu, ›sich‹ anzunehmen, die sakrale Artikulation ein weiterer. Der Heilerfolg der Dichtung bestünde also darin, dass sie den Dichtern und einigen ihrer eifrigen Leser durchs Leben hilft. Da auch die Wissenschaft ›durchs Leben hilft‹, solange sie nicht aus ihm heraushilft, wäre gegen eine solche Interpretation nichts einzuwenden. Dennoch wirkt sie konstruiert. Ein Rest von Kopfschütteln haftet ihr an, ein halbes Sich-Abwenden von der Sache, die wenig reell erscheint. Für den Schreibenden wiederum ist sie das Reelle schlechthin. Als primäre Artikulation steht Dichtung jeder Deutung offen. »Die Überwältigung der wehrlosen Poesie auf dem freien Feld der Untersuchung« könnte ein Blatt des Paulus Homomaris heißen und man wüsste nicht, wer da wen überwältigte.