Als Dichter bin ich nicht vorhanden. Ich richte mich in dieser Situation ein, ich lebe mit ihr, ich lebe in ihr unbedingt, ich genieße sie nicht, aber sie ist das Brot, das mich nährt. Auch wenn ich wollte, dass es anders wäre (und natürlich will ich es), nehme ich sie an, ich nehme sogar an, dass sie so und nicht anders besteht, gleichgültig, was andere Menschen davon halten. Etwas an dieser Situation hält mich fest, spricht zu mir, verwandelt sich in Eingebung und Worte. Sie macht auch leiden, ein klein wenig, nicht zu sehr, denn das wäre kontraproduktiv, es ginge über das selbstgesetzte Ziel hinaus, das verlangt, dass ich mich innerhalb einer Umgrenzung aufhalte, die durch das Nichtvorhandensein zu einer Art negativer Anschauung gebracht wird. Das Nichtvorhandensein ist das soziale Äquivalent des Schreibens. Es meint nicht die ›mediale Distanz‹ zwischen dem Schreibenden und dem Adressaten. Aber eine Art Distanz meint es schon. Der Adressat des dichterischen Schreibens ist in gewisser Weise nicht vorhanden. Medientechnisch gesprochen ist Dichtung Rauschen. Und so, als Hintergrundrauschen, existiert der Adressat für den Dichtenden. Er wendet sich weder an Einzelne noch an die Menschheit noch an bestimmte ›Adressatengruppen‹. In gewisser Weise richtet er sich an sich selbst nach dem Motto: »ad se ipsum«. Dieses Selbst, dieses Rauschen, dieser in den Horizont des Schreibens projizierte Tinnitus ist eine Figur der Ununterscheidbarkeit von ›Ich‹ und ›Anderem‹. Ununterscheidbarkeit, nicht Identität: notwendige Fiktion statt ›bloßer‹.
In einer Welt, in der alles käuflich ist, möchte ich nicht leben. In diesem Sinn geht es in der Dichtung um Leben und Tod. Wenn der Sinn von Dichtung in der Warenwelt verlorengeht, dann muss es einen Grund für diese schroffe Entgegensetzung geben. Worin könnte er liegen? In mangelnder Angepasstheit an die ökonomischen ›Gegebenheiten‹? Das kann nicht sein, die Athleten des literarischen Kommerzes belehren uns täglich eines Besseren. Es geht hier auch nicht darum, ob und wie sich etwas ›durchsetzt‹. Darüber zu befinden ist lächerlich. Erfolg ist kontingent. Dass Kunst keine Ware ist, klingt wenig glaubhaft. Warum ist die tägliche anschauliche Widerlegung keine Widerlegung? Warum ›funktioniert‹ sie nicht? Das zu begreifen, muss man das sehr grobe Begriffsmuster der Neuzeit, in der ›die Künste‹ eine künstliche Klasse von Gegenständen hervorbringen, darunter auch ›schöne‹ oder ›ästhetische‹ oder ›poetische‹, vollständig vergessen. Ob es sich deswegen um eine Form der Besessenheit handelt, kommt auf die Auslegung dieser sehr undeutlichen Formel an. Als ›Passion‹, als ›Obsession‹ schließt sie an christologische und pathologische Muster an, als ›Ergriffenheit‹ an Vorstellungen des Heiligen und des Opfers. Hier ist die Deutung bereits geleistet, bevor das Feld inspiziert wurde.