Um dieses Pensum herum entsteht das Buch: seine Gliederungen, sein Kontinuum, das keines ist, sondern eine Folge unauffälliger Diskontinuitäten, die durch das Blättern in einen magischen oder pseudomagischen Fluss geraten, der Reiz des Richtigen – oder Überzeugenden –, der dadurch zustandekommt, dass alles an der richtigen Stelle steht, dass es in ihm keine Übereilung und keine Verschleppung gibt, es sei denn, es ist schlecht geschrieben, es sei denn, es stammt aus der Hand einer unkundigen Person, die das Buch als innere Form, als intermittierenden Modus der Gedankenentwicklung nicht kennt. Verstanden hat das im Jahrhundert des Buches am besten der Lyriker Mallarmé, allerdings erst, nachdem vor ihm andere Autoren die Lyrik buchtechnisch optimiert hatten. Das Gedicht, das die Buchseite zum Strahlen bringt, verbindet die Leere des Neuen mit der properen Gefülltheit der geschriebenen Seite: es ist nicht zu lang und nicht zu kurz, seine Zeilen sind nicht umbrochen, sein strophisches Arrangement gibt dem Blatt Proportion, so wie es den Text selbst proportioniert. Dass ein solches Verswerk sich nicht willkürlich über mehrere Seiten zieht, versteht sich von selbst, es sei denn, es bedient die Grundform der Meditation und relativiert damit die Strophenform zugunsten des gedanklichen Pensums. In diesem Sinn ist ein Goethe-Gedicht zwar ein ›Blatt‹, aber eines, das zum Memorieren und zu mündlichen Vortrag einlädt. Bei Baudelaire, bei Whitman, vielleicht bereits bei Heine vereinigen sich die lyrischen Blätter zum Buch: Das Dichten selbst wird buchförmig. Mallarmé, der die Entwicklung kennt und vorantreibt, dreht an einem bestimmten Punkt das Verhältnis von Blatt und Geschriebenem um. Was, wenn die tradierten Weisen der Versifizierung nicht länger die lyrische Form sind, sondern die gestaltete Buchseite? Wenn es die Ballungen von Buchstabengruppen, ihre statistische und dynamische Verteilung auf der Seite sind, die für den lyrischen Effekt bürgen? Ein Jahrhundert experimenteller Dichtung hat diesen buchexpressiven Ansatz unter einer Reihe andersartiger Phantasien begraben. Wer heute angesichts gestaltungshungriger Websites Mallarmés Un coup de dés in einer der gängigen Ausgaben durchblättert, der begreift, dass sein Verfahren an eine paradoxe Grenze führt: die vollkommen durchgeformte Seite ›schiebt‹ über sich hinaus wie nur je eine Prosa-Seite, indem sie die Kontingenz dessen, was auf ihr an Geschriebenem zusammenkommt, drastisch erhöht. Dass die zwanghafte Vermeidung von Kontingenz Kontingenz erhöht, ist ein Gemeinplatz, der nicht nur der Verskunst zu schaffen macht. Bei Mallarmé leitet er über zu einer Form, die besser auf einer Seite ihr Auskommen fände, ohne durch die Notwendigkeiten der Buchgestaltung behindert und abgeleitet zu werden. Diese Seite ist die Netzseite oder, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, die web page, die soviel Text erlaubt, wie es sinnvoll erscheint.