Die zeitgenössische Parallele zu einem klassischen Prosawerk wie Musils Mann ohne Eigenschaften, dessen Entstehungsgeschichte auch eine Publikationsgeschichte bis hin zu Exil und Berufsverbot enthält, wäre ein Werk, das vor dem medialen Schisma begonnen wurde, um unter völlig anderen Schreib-, Denk- und Handlungsbedingungen seiner Fertigstellung entgegen zu gehen. Es wäre seltsam – und spräche gegen die Ernsthaftigkeit des Unterfangens –, wenn es von all dem unberührt bliebe. Es wird jenen Spalt, der sich innerhalb der Schriftkultur aufgetan hat, in sich aufnehmen: alles andere ›ergäbe keinen Sinn‹. Der Autor weiß das natürlich. Er muss das Projekt verteidigen oder es aufgeben. Vor ihm liegt also die Aufgabe, die Grenze zwischen dem zu ermitteln, was in das Projekt fällt, und dem, was außerhalb seiner Grenzen bleibt. Da es sich um sein Projekt handelt, heißt das: er muss sich entscheiden, ob die eingetretene Konstellation sein Werk berührt oder nicht. Genau diese Entscheidung aber ist ihm abgenommen, da die Konstellation das Schreiben selbst betrifft, seine Technik und die ihm inhärente Weltdeutung. Die Konstellation deformiert das Projekt, gleichgültig, wie der Autor sich dazu verhält. Er kann die Hände heben und seine Unschuld beteuern, aber er kann sich nicht aus dem Vorgang herausnehmen. Natürlich kann er sich für das Buch entscheiden, aber er kann diese Entscheidung nicht schlüssig begründen, es sei denn, er versteht sich als einer der letzten Vertreter eines untergegangenen Ancien Regime. Auch damit ändert er den Sinn seines Unternehmens, und zwar radikal. Er nimmt es heraus aus dem Fluss der Weltdeutungen und macht aus ihm das, was die Historiker ein ›Monument‹ nennen, ein Denkmal, genau betrachtet: das Denkmal einer untergegangenen Intention.

Ob er will oder nicht, der Autor eines solchen Werkes muss akzeptieren, dass die von ihm zu ziehende Grenze innerhalb seines Projektes verläuft. Er ist also gut beraten, wenn er sich entschließt, sie als Teil des Projekts anzusehen und sie in seine formalen Überlegungen aufzunehmen. Wie immer er dabei vorgeht, kann ihm nicht verborgen bleiben, dass es sich hier um keine randständigen Überlegungen handelt. Im Gegenteil: solange sie randständig bleiben, solange sie nicht auf die Mitte des Projekts zielen, solange darf er sicher sein, dass sie den Grad an fordernder Bestimmtheit noch nicht erreicht haben, der ihnen der Sache nach zukommt. Um dies zu verstehen, genügt eine kleine Überlegung. Wer den Medienwandel als Reflexionsanlass nimmt, um die Grenzen der ›irgendwie‹ buchförmig gedachten Welt zu bestimmen und zu relativieren, dem ist es freigestellt, in welchem Medium er seine Überlegungen fixiert. Er wird sich für das entscheiden, in dem er ein Maximum an Autorität zu gewinnen glaubt. Deshalb haben die prominenten Medientheoretiker Bücher geschrieben, statt ihre Gedanken dem Medium anzuvertrauen, dessen Existenz sie ihre Einfälle verdanken. Die Autorität, der sie vertrauten, war die der erreichten sozialen Position und des sie umgebenden Apparates. Daran hat sich manches, aber nichts Grundlegendes geändert. Dem Dichter allerdings steht nur ein Weg offen, ein Medium zu erkunden: er muss sich seiner bedienen. Wie er vorgeht, darin ist er frei, weit weniger hingegen in der Wahl des Mediums. Wenn es darum geht, ein Werk fortzuschreiben, in dem die Frage der Sinnkonstitution allen anderen vorausgeht und ihre Behandlung bedingt, hat er keine Wahl: er muss das Medium ergreifen, in dessen Licht das andere, vertrautere, durchgeformtere, sinnhaltigere seine Unbestimmtheitszonen, unbedachten Voraussetzungen und formalen Beschränktheiten preisgibt. Ist er einmal so weit gekommen, entdeckt er möglicherweise, in welch komfortabler Lage er sich damit befindet. Die neue Schreibsituation annuliert nicht etwa die bereits geschriebenen Teile, sondern fügt ihnen eine Dimension hinzu, die sie vorher so nicht besaßen. Alles, was sich der Autor des Übergangs vom Netz erwarten darf, ist ein Zuwachs an Reflexion. Für sie wird das bereits Geschriebene wieder zum Material, das heißt zu jener primären Bezugsgröße, die er benötigt, um ›Welt‹ zu thematisieren. Nicht im radikalen Neubeginn, sondern im Übergang erhält sich die ästhetische Dimension der schriftförmigen Aneignung dessen, was ist.