Das Buch ist eine Distributionsform unter anderen. Es ist nicht die effektivste, aber faktisch diejenige Form, in der Literatur unters Volk kommt. Das bestimmt die Sicht von Berufsschriftstellern, deren Interesse ein befriedigendes Verkaufskonzept näher liegt als das durch die Existenz von Netzseiten aufgeworfene Formproblem. Eine marginalisierte Literatur ist aus dieser Sicht einer unbezahlten unbedingt vorzuziehen. Eine Website zu gestalten und vor den Augen des Publikums zu verschließen, ist aber widersinnig. Was die Zukunft an ökonomischen Modalitäten auch bringen mag, im Augenblick gilt, dass Literatur das ist, was sie in ihren Glanzzeiten und für ihre Vorreiter immer war: kommerzfreie Zone. Die Frage ist also eher, ob sich die Wenigen finden (und wahrgenommen werden), die gewillt sind, sich auf diesen langen Weg zu begeben, dessen Ende nicht absehbar ist und dessen Gefahren nicht unterschätzt werden dürfen. Unter ihnen scheint die Gefahr, ausgegrenzt zu werden, die geringste, da sie das Schriftsteller-Dasein immer begleitet. Wer Autor sein will, darf sich erinnern, dass es ohne sie ohnehin nichts wert ist. Es wächst an ihr, jedenfalls in den Zeiten, in denen es seine Aufgaben dort findet, wo niemand hinsieht, geschweige denn etwas vermisst. In diesem Sinn ist Literatur, die ihren Namen verdient, heute so offen wie eh und je. Aber das ist nicht alles. Kein vernünftiger Mensch wird bezweifeln, dass auch in hundert Jahren Bücher geschrieben, wahrscheinlich sogar gedruckt werden. Nur: offen ist das Konzept ›Buch‹ nicht mehr, seit die Wege der Schriftkultur sich gegabelt haben. Als fragloses Deutungsmuster von Welt existiert es noch für naive Gemüter, die anderen sind entweder auf und davon oder sie machen es sich bequem. Demgegenüber ist das neuere Medium leer: der Umzug der Literatur hat noch nicht stattgefunden. Er kann auch nicht stattfinden, es sei denn, es melden sich Einzelne, um vorauszugehen und jenes Minimum an Gestaltungsmöglichkeiten zu entwerfen und zu erkunden, ohne das den Schreibenden nur die Resignation bleibt. Diese Offenheit für das Kommende ist nicht utopisch, sie sieht, was ist, und zieht ihre Konsequenzen. Wer wollte, könnte von einer Laborsituation sprechen, aber dieses Labor besitzt keine Wände, es liegt auch nicht hinter den sieben Hügeln, es ist von allen Seiten her einsehbar und jeder, der von der Sache etwas versteht, kann sich seinen Teil denken und seine Konsequenzen aus dem Gesehenen ziehen oder auch nicht.

Offen, heißt das, ist ein Schreiben, das sich unter den Augen einer faktisch vielleicht nicht großen, aber keineswegs exklusiven Öffentlichkeit vollzieht. Das Internet kennt kein Publikationsdatum, das sich am professionellen Ernst und der kulturellen Würde einer Buchpublikation messen lassen kann. Was erscheint, bleibt modulations- und manipulationsfähig, es kann über Nacht verschwinden, als habe es nie existiert, auch wenn eine progressive Dokumentationspraxis den letzteren Schrecken mindert. Es kann auch verfolgt und vielleicht effektiver unterdrückt werden, als es die traditionelle Praxis der Bücherverbrennung zuwege brachte. Das sind vermutlich wirkliche Gründe, das Distributionsmittel Buch in dieser kulturellen Stunde nicht zu verabschieden. Was sich ändert: es wird zum Mehrobjekt, auf dessen Erscheinen niemand mehr wartet, schon gar nicht sehnlich. Was geschieht, geschieht von Tag zu Tag. Niemand, der schreibt, kann sich dem ganz entziehen: die Weisen, in denen die Texte kursieren, sind auch Bestandteil der Produktion. Die bewegliche Publikationsform des Netzes verändert unwiderstehlich das Verhältnis von Teil und Ganzem. Der Teil ist das Stehengelassene, das jederzeit wieder aufgenommen und weiter bewegt werden kann, das Ganze ist das gegenwärtig Vorhandene, verstanden als anhaltender Prozess. Jeder andere Werkbegriff scheint ohnehin abgetan oder widersinnig. Das wissen diejenigen am besten, die seit einem halben Jahrhundert gegen den Werkbegriff polemisieren und ihn am liebsten aus der Welt geschafft hätten. Er ist aber nicht aus der Welt zu schaffen, weil er einen Aspekt des ästhetischen Unterfangens benennt, den zu leugnen zwecklos wäre.