Was bedeutet das? Die einfache Lektüre ist kein Medium, sondern ein Aufmerksamkeits-, ein Aufnahmemodus, der sich auf ein Medium stützt, der auf ein Medium bezogen bleibt, es aber nicht produziert oder reproduziert. Dieses Medium ist die Schrift, gleichgültig, in welcher Form und auf welchem Träger sie Aufmerksamkeit erregt. Um die Lektüre in ein Medium zu verwandeln, ist es nötig, sie zu verdoppeln, so dass sie selbst zu etwas Lesbarem wird, einem Träger von Informationen, um es etwas schlicht zu formulieren, so dass sie in sich oszilliert, sich einerseits als Aufmerksamkeit auf, andererseits als Träger von Botschaften im Lesebewusstsein einnistet. Die Lesedistanz zum Realmedium, zum medialen Träger wird dadurch nicht weniger wirklich, sie wird ergänzt und präzisiert durch die Binnendistanz des Lesens, das sich in seiner integrierend-antizipierenden Bewegung eigentümlich unterstützt und ineins damit gebremst und gelenkt findet, so als stoße es in ihm selbst auf eine Instanz, die seiner freien Bewegung misstraut und ihm daher Gangarten vorschreibt, auf die es sich willig einlässt, weil sie ihm nicht ganz und gar fremd oder äußerlich sind, es vielmehr permanent an sich selbst erinnern, als gehe es sich andernfalls verloren oder drohe sich verloren zu gehen. Diese Binnendistanz muss fortwährend überwunden werden, damit Lesen entsteht und in Gang bleibt, sie muss lesend überwunden werden, so wie sie das Lesen erzeugt. Die Unruhe, die dadurch ins Spiel kommt, lässt sich als Wunsch aufzuhören oder an ein Ende zu kommen interpretieren, der kein Gehör findet und vom Weiterlesen verschlungen wird.

Welchen Grund sollte ein Autor haben, einen derartigen Wunsch in seinem Leser zu erzeugen? Zweifellos will er etwas erreichen, was mit ›normalem Leseverhalten‹ so nicht erreichbar ist. Der Wunsch, den Leser herausfinden zu lassen, ob und welche Art von Spieler er ist, ist sicher ein ernsthafter Kandidat unter denkbaren Gründen. Nun könnte der Autor getrost diese Aufgabe dem Markt überlassen, ginge es darum, den ohnehin vorhandenen ein paar neue, noch unerprobte hinzuzufügen. In einer Welt, in der an Spielen und Spielangeboten kein Mangel herrscht, vor allem an solchen, die mit Reizen operieren, gegen die eine moderate Kulturtechnik wie das bloße Lesen schlechterdings nicht in Betracht kommt, grenzt der Gedanke, auf solche Weise der Literatur ein paar Interessierte zuzuführen, ans Absurde. Lesespiele zu entwerfen ist, literarisch gesprochen, dann sinnvoll, wenn sie einen Reiz aufspüren, der auf andere Weise nicht erreichbar erscheint, wenn sie, mit Baudelaire zu sprechen, der Welt einen neuen Schauder bieten. In Lesespielen muss es daher um etwas gehen, das gleichermaßen in der Realität anzutreffen wie nur durch Lektüre zu vergegenwärtigen ist.