Das Lesespiel, so betrachtet, wäre auch eine Allegorie des Lesens selbst, insofern es jede gegenwärtige kohärente Lektüre hinter sich lässt: Lektüreentscheidungen müssen stets getroffen werden und sind unhintergehbar in dem Sinn, dass jede weitere Lektüre Folgelektüre bleibt und im voraus determiniert ist durch die Gesamtheit des bereits Gelesenen. Dabei gibt die Reihenfolge der Lektüren eine nicht immer transparente, aber zu beachtende Größe ab. Insoweit besitzt das Lesen Macht über ein Leben und formiert es ›von innen‹. Die stärkere Aisthesis des Lesespiels fände dann einen Grund darin, dass es Wandlungsprozesse des Bewusstseins, die über die sukzessive, aber diskontinuierliche und unterschiedlich tief gehende, stets mehr oder weniger totalisierende Aneignung von Fremderfahrungen unmerklich ausgelöst und in Gang gehalten werden, in einen zeitlichen und bewussten Ablauf zwingt, in dem sie realiter nicht ablaufen und nicht ablaufen können. So läuft das Spiel nicht, jedenfalls nicht dann, wenn es meines sein soll – woher dann die Nötigung, es anzunehmen und gegen mich selbst, gegen den Widerstand meiner Lesernatur zu spielen? Zweifellos deshalb, weil diese Lesernatur in sich gespalten ist und stets geschehen lässt, was die Lektüre mit ihr anstellt. (Dies in Klammern, denn darum geht es nicht.)

Das Machtspiel benötigt ein Medium, in dem es erscheint. Das Lesespiel, machtfern, konzentriert die Erscheinung: in ihm geht es nur um die Macht, weil es nicht um die Macht geht. Worum dann? Vielleicht darum, wie sie aus jedem hervorgeht. Ein Medium zur Herstellung dieses Jedermann im Leser-Betrachter: das könnte es sein. Der Leser betrachtet das Spiel, in dem er Leser ist. Als Leser ist er Spieler und Jedermann, als Betrachter Leser wider Willen, Leser mit Widerständen. In der Lektüre schmilzt der Widerstand, aber er bleibt erhalten. Dieser Jedermann ist weder Ich noch Rolle noch Maske, man könnte meinen, er sei etwas dazwischen, immerhin etwas, ein Etwas, um genau zu sein, ein Zustand vielleicht, aber ebenso eine Gegebenheit, ein Rückhalt im Bewusstsein, ein Ding, das wartet. Ausstehende Katharsis könnte man es nennen.