Als Medium des Sich-Ausschreibens bietet der Blog gegenüber dem Buch unerhörte Vorzüge: ihm ist die Grundform des Weiter so! ohne publikationstechnische Abstriche inhärent. Kein Blogger kann fürchten – oder muss hoffen –, den ›Platz‹ zu erschöpfen, den ihm das virtuelle Medium einräumt. Sein Beitrag bleibt, gemessen an den Kapazitäten, immer gleich schlank. Das gilt im Einzelnen und es gilt im Ganzen. Er liegt, bildlich gesprochen, nirgendwo auf: weder auf dem Lesetisch noch im Regal noch dem Gemüt seiner Leser. Kurioserweise führt diese Leichtigkeit der sich nirgendwo zum physischen Objekt ballenden Mitteilung dazu, dass den sie ermöglichenden Geräten eine Aufmerksamkeit zuteil wird, die jenseits aller Inhalte liegt, so als übersteige die Technik an Bedeutung alles von ihr Transportierte (was, gemessen an der investierten Intelligenzleistung – und dem Aufwand insgesamt – nicht ganz falsch sein dürfte). Andererseits ist der technologische Aufwand, einmal erbracht, immer schon konsumiert. Stärker scheint der urtümliche Reflex ›ins Gewicht‹ zu fallen, der die Menschen nötigt, unwillkürlich das Gewicht einer Mitteilung – ihre ›Bedeutung‹ – mit physischen Gewichten zu assoziieren, die bewegt werden müssen, um sie mitzuteilen. Schon aus diesem Grund grenzt selbst für abgebrühte Technikbenutzer die digitale Welt an Zauberei. In einem Sinn, den kein Vertreter des ›Geistes‹ gutheißen kann, tendiert hier das Gewicht der Einzelbotschaft, sofern sie den Empfänger nicht praktisch tangiert, gegen Null.

Als Tagebuch, wie es Generationen von Schriftstellern führten, ist der Blog ein Flop. Das zumindest hat sich in den Kreisen, die es angeht, herumgesprochen. Die intime Beichte, angestrebt oder nicht, findet nicht statt. Dem privaten Exhibitionismus bieten die sozialen Medien die bessere, den entsprechenden Bedürfnissen angepasstere Plattform. Im Blog, selbst dem scheinbar sachlichsten, taucht eines der älteren Muster der Literatur wieder auf: der Fortsetzungsroman. Auch der Fortsetzungsroman besitzt kaum Eigengewicht. Wer sich von ihm einnehmen lässt, möchte vor allem eins: wissen, wie es weitergeht. Nicht wie die Welt weitergeht (oder wie sie wirklich ist) – ein typischer Blogger-Trugschluss, hervorgegangen aus dem verständlichen, aber nutzlosen Wunsch, seine Stimme mit Gewicht auszustatten –, sondern wie es hier, an dieser Stelle, weitergeht. Ein Blog ist eine Adresse im Netz, an der es weitergeht. Ein Blogger, dessen Einträge nur noch tröpfeln, gerät leicht in Verzug – am leichtesten sich selbst gegenüber, seinem ältesten und begierigsten Leser. Ein ruhender Blog, gleichgültig um den Gehalt des bereits Geschriebenen, ist tot. Wie ein professioneller Schreiber, der den nächsten Roman auflegt, um im Geschäft zu bleiben, muss auch ein Blogger sich etwas einfallen lassen, um den Kontakt zu seinen Lesern und Kommentatoren nicht zu verlieren. Und wie jeder Romancier, dem sich das Buchprojekt zur Versuchung, die Welt auszuschreiben, erweitert, erliegt auch er einem Mechanismus, der ihn nötigt, die ›Welt‹, also das, was nach einer bekannten Definition ›der Fall ist‹, als Rohstoff für ein Welterschaffungsprojekt zu verwenden, dessen Abschluss der Tod sein wird, das ultimative Datum, an dem, wie jedes ›Fakt‹, auch das Arte-Fakt zuschanden wird.

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