Wenn alles zusammenhängt, dann sollte auch zwischen Zusammenhang und Zusammenhanglosigkeit ein Zusammenhang bestehen. Wer ihn zum Thema macht, stößt über kurz oder lang auf den Einwand, mit einer der beiden Seiten zu paktieren. Zusammenhanglosigkeit ist der fremde Gast allen geordneten Denkens. Sie ist überall anwesend, aber nirgends greifbar. Wer thematisiert, setzt Zusammenhänge. Gleichzeitig setzt er sich auf ihre Spur, er hat, außer der Idee eines Zusammenhangs, nichts in der Hand, sie ist der Ariadnefaden, der aus dem Labyrinth der losen Einfälle herausführen soll, wobei das Wörtchen ›lose‹ noch immer für Verhakungen, also Zusammenhang steht. Alle Gedanken, selbst die flüchtigsten, besitzen solche Widerhaken. Sie reihen sich weder glatt aneinander noch verstreuen sie sich einzeln im Gelände. In ungeordnetem Zustand, solange sie nicht irgendeine Passion zu Figuren bläst, ähneln sie einem verfitzten, form- und widerstandslosen Watteknäuel. Wer Zusammenhänge setzt, legt auseinander, dünnt aus, schafft weniger, nicht mehr Zusammenhang. Ob eine in dieser Weise kontrollierte Gedankenverbindung als ›Einfall‹, ›Vorstellung‹, ›Idee‹ oder ›Theorem‹ gehandelt wird, bleibt demgegenüber zunächst gleichgültig, aber es deutet an, dass die Vorstellung einer Gedankenreihe sofort eine übergeordnete Reihe in Gang setzt. Denken ist nirgends ›eindimensional‹ oder einsinnig. Wer einen Sinn verbannt, verwandelt ihn in einen Hintersinn, der auch seine Liebhaber findet. Zusammenhanglosigkeit findet nicht statt. Dennoch wird sie empfunden. Der Wunsch, Ordnung zu schaffen, treibt sie hervor, das Bedürfnis, klar sortierte Verhältnisse an die Stelle des vorgängigen Durcheinanders treten zu lassen, lässt alle herumliegenden Puzzleteile als falsche erscheinen, bis auf eine Ausnahme: das hier und jetzt gefragte.
Hier und jetzt? Warum jetzt? Jede Suchbewegung, also auch eine ›in Gedanken‹, vollzieht sich in der Zeit. Sie führt auch nirgends über die Zeit hinaus, es sei denn im fertigen, vom Suchimpuls verlassenen Gebilde. Das lässt den Vorsatz, denkend und schreibend die Zeit ihr Werk verrichten zu lassen und ihr dabei möglichst wenig ins Handwerk zu pfuschen, als probates Mittel erscheinen, ein Maximum an Zusammenhanglosigkeit zu erzeugen. Leider geht es mit diesem wie meist mit den guten Vorsätzen: er gerät an der Grenze zur Realisierung ins Stocken. Auch die Erzeugung von Zusammenhanglosigkeit erzeugt Zusammenhang, sie verstärkt Zusammenhänge, die das geordnete Denken in den Hintergrund drängen würde, vielleicht zu Recht, da sie als banal wahrgenommen werden, vielleicht auch zu Unrecht, weil der Denkende sich auf einem allzu ausgetretenen Pfad bewegt.
Dass Tagebücher erst in der folgenden, vermutlich erst in der dritten Generation ihre Wirkung entfalten, lässt sich mit keinem größeren ›Verständnis‹ der Späteren erklären, auch nicht mit ihrem Nachlasscharakter. Der Grund liegt darin, dass das geordnete Denken einer Generation bei den Nachfolgern wenig gilt. Ertragreicher scheint es da, in die Ritzen zu blicken und das Zurückgedrängte oder ›Verdrängte‹ sprechen zu lassen, vorausgesetzt, es hat irgendwo Raum gefunden, sich zu entfalten. Aus Tagebüchern lässt sich alles beweisen. Was bloß vom Faden der Zeit zusammengehalten wird, erscheint dem Physiognomiker der Zeit als vollendeter Zusammenhang, es ist aber eine aus momentaner Denkschwäche im Verbund mit Zeitknappheit getroffene Zusammenstellung – so oder so ein Kind des Tabus. Wer an Zusammenhänge rühren möchte, ohne sich die Finger an ihnen zu verbrennen, erliegt leicht der Gefahr, sie sich schmutzig zu machen, ohne etwas in der Hand zu behalten. Vielleicht war ihm mehr nicht erlaubt, vielleicht fiel ihm auch nicht mehr ein, die Grenze zwischen beiden Möglichkeiten ist a priori fließend und a posteriori nicht zu ermitteln.