Verkettung, Verknüpfung, Verhakung, Verbindung, Verband, Verbund, Band, Gebinde, Bündel, Figur, Gehänge, Kohäsion, Ko- und Konfigurationen – der Zusammenhänge sind viele, und wenngleich es immer die Zeit ist, die sie zum Vorschein bringt oder stiftet oder verbirgt, so ist doch die chronologische Ordnung der schwächste aller Ausweise, dass etwas zusammengehört, auch wenn das Passiertsein und Passierthaben der Reihe nach erzählt werden muss, damit die Darstellung Hand und Fuß bekommt. Dabei haben die Schriftsteller früh erkannt, dass der chronologischen Reihe, der ordo naturalis, wie die Rhetoriker das nannten – also der naturbelassenen Erzählweise –, eine gewisse einschläfernde Wirkung innewohnt, der man am besten durch Vor- und Rückgriffe, aber auch durch Ausritte ins Gelände, durch Digressionen und Kommentare entkommt. Die ungeheure Verlangsamung der Erzählung durch die Notwendigkeit, verschiedene Stränge einer Geschichte parallel zu erzählen, weil sie zur gleichen Zeit getrennte Entwicklungen durchlaufen, ist einer der Hauptgründe für das Anschwellen der Romane im 19. Jahrhundert. Entschließt man sich dazu, Parallelgeschichten zu erzählen, die nirgends als in der Zeit zueinander finden, um dadurch der ›Struktur‹ des Weltgeschehens näher zu kommen, dann wachsen die Volumina leicht ins Ungeheure und Belanglose. Dagegen ist das Tagebuch, diarium naturale, strikt gesprochen, keine Erzähl-, sondern eine Berichtform. In ihm kommt zusammen, was dem Schreibenden zu bestimmten Zeitpunkten durch den Kopf geht – und zwar nicht irgendwann, sondern am Abend eines Tages oder wann immer die rituelle Stunde des Eintrags angesetzt wird. Auch darin liegt bereits eine gewisse Stilisierung: berichtet wird, was den Bericht lohnt. So jedenfalls will es die stillschweigende Vereinbarung zwischen Autor und Leser, in der dem Leser nichts anderes übrigbleibt, als Treu und Glauben zu üben, es sei denn, er verfügt über andere Informationsquellen, aus denen sich entnehmen lässt, was der Tagebuch-Autor, aus guten oder schlechten Gründen, verschweigt. Insofern existiert ein starker Zusammenhang zwischen dem, was zur Niederschrift gelangt, und dem, was, aus den verschiedensten Gründen, darin tabu bleibt. Stärker als andere literarische Formen spielt das Tagebuch mit den Scham- und Schuldgefühlen von Autor und Leser. Je geheimer das Tagebuch, desto größer sein unterstellter Sensationswert, desto tiefer die Einblicke, die es gewährt. Ein Tagebuch, das keine Einblicke gewährt – es sei denn in Arbeitsvorgänge, die nur Spezialisten etwas angehen –, ist keines oder ein belangloses.

Nicht die chronologische Reihe stiftet Zusammenhänge, sondern das Neugiermotiv des Lesers, der sich im Wortgehege des Tagebuchschreibers verfangen hat und sich hungrig auf jeden Brocken stürzt, den dieser ihm hinwirft, in der Hoffnung, ein Stück unverfälschten Privatlebens zu ergattern. Das aber heißt: das Tagebuch lebt von den Querverbindungen, die der Leser herzustellen beliebt. Mit der Angabe von Tag und Stunde lenkt der Tagebuchschreiber von der Frage ab, was noch im gleichen Zeitraum geschehen sein könnte, was vielleicht an Wichtigerem geschehen sein könnte, von dem das Berichtete vielleicht nur ein Teil und nicht einmal ein besonders sprechender wäre, vielleicht nicht einmal das: dahinter muss keine Verschleierungsabsicht stehen, sondern das insgeheim mitschreibende Bewusstsein von der Belanglosigkeit der eigenen Beobachterposition selbst in Dingen, die nur ihn selbst angehen. So sehr ist jedes ›gesunde‹ Gemüt von der Kontingenz der eigenen Person überzeugt, dass es sich schreibend vom Gegenteil überzeugen muss. Ein sprechender Tagebucheintrag ist vom Trotz diktiert: ein ›Ich‹ teilt mit, was es für mitteilenswert erachtet und was ansonsten im Geschiebe der Welt untergehen würde, weil sonst niemand da wäre, es zu würdigen. Das mag im Einzelfall handfeste Gründe haben, in der Regel diktiert die Schreibsituation ad hoc, was festgehalten zu werden verdient. Dabei weisen Umfang und Komplexität der bereits getätigten Einträge, die begrenzte Zeit und die Mühsal der Rekonstruktion, die Größe und Zahl der berichtfähigen Momente, eine momentane Schreibabsicht, Müdigkeit, Erregtheit, Alkohol den Weg, den die Niederschrift geht. Demgegenüber bleibt der Datumseintrag die einzig reelle Größe. Wer an ihm zweifelt, zweifelt an der Redlichkeit des Schreibers, ungeachtet der ›subjektiven Perspektive‹, die ansonsten vieles, wenn nicht das meiste rechtfertigt, was da geschrieben steht. Der Datumseintrag dient der Beglaubigung, nicht der Herstellung von Zusammenhängen. Zweifellos erzeugt er eine Reihe, eine ordo – wo Ordnung herrscht, herrscht auch Zusammenhang, aber dieser hier muss erst entdeckt werden, während der Verfasser sich die Hände in Unschuld wäscht, denn er hat nichts damit zu tun. Das Tagebuch setzt voraus, dass jede Seite weiß, was im ›fraglichen Zeitraum‹ noch geschehen ist, es beginnt zu sprechen im Bewusstsein dessen, was sonst alles geschah. Wer das nicht realisiert, für den bleibt, was er liest, Gerümpel. Hand aufs Herz: welches Tagebuch bietet seinen Lesern mehr als Gerümpel? Und falls es mehr bietet: ist es dann noch ein Tagebuch? Nichts gegen Gerümpel, es gibt nichts Sprechenderes, wenn es gilt, eine Zeit zu rekonstruieren, vorausgesetzt, der Schock darüber, dass es vorbei ist, sitzt tief und verlangt nach Beschäftigung.

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