Der Buchmarkt stellt die Prestige-Maschine der Literatur bereit. Warum soll ein Autor auf sie Verzicht leisten? Das ist schwer einzusehen und es wird schwer eingesehen. Er soll es ja nicht, keine Instanz der Welt nötigt ihn dazu. Falls er verzichtet, dann, ja dann... geschieht es aus freien Stücken. Das mag verschiedene Gründe haben, etwa, weil es mit dem Prestige, nachdem die wirklichen Leser sich andernorts finden, nicht mehr so weit her sein kann, dass es ein wenig hohler klingt als zu seinen besten Zeiten, weit hohler, um ehrlich zu sein, wenn selbst Nobelpreisträger um das bisschen Aufmerksamkeit zu ›kämpfen‹ haben, das ihnen noch an den Grabbeltischen der Buchhändler entgegenschlägt. Der Auszug der Leser aus der Literatur kennt viele Facetten. Gefolgt wird er von schmallippigen Kommentaren wie dem, hier handle es sich um eine ›sekundäre Analphabetisierung‹, der man am besten mit volkspädagogisch gemeinter Muntermacher-Literatur Paroli biete – und mit ›Events‹. Aber nein, so ist es nicht. Schwinden die Gründe, dann gehen die Leute. Leseverhalten verändert sich schleichend, stürzend und unaufhaltsam, ohne dass den Sirenenklängen alarmierter Verkäufer mehr entgegenschlüge als höfliches Interesse, wie man es überall beobachten kann, wo über schlechte Geschäfte gejammert wird.
Das bringt die Prestige-Maschine nicht zum Verschwinden. Sie ist ins Stottern geraten, gut, auch darüber kann man reden. Die generationenlang produzierte ›Geltung‹ darf nun von den Vielen begutachtet werden, die gestern – oder war es vorgestern? – noch frag- und klaglos eingenommen waren. Mit dem Markt schrumpfen die Kriterien ›guter‹ Literatur, sie werden läppisch. Das ist nicht jene, seit es Literatur gibt, allseits beklagte ›Popularisierung und Trivialisierung der Inhalte‹, sondern fast schon ihr Gegenteil: das ›Volk‹ weiß nichts von Literatur und den Lesern geht angesichts voller Magazine der Stoff aus. Vor allem geht der Literatur die Literatur aus. Der praktisch geschlossene Auszug der Intelligenz aus diesem Segment der Kultur hat zum Beispiel die Literaturwissenschaft, soweit sie nicht in der Vergangenheit unterwegs ist, in eine wertabstinent-distanzierte Beobachterin von Distributionsphänomenen verwandelt, die das literarische Urteil ohne Wenn und Aber dem Betrieb samt seinen sozialdarwinistischen Tendenzen überlässt.
Prestige, der Wunsch herauszustechen, ist die Seele der ›Weiter-so‹-Literatur. Dieses Herausstechen bleibt keineswegs auf das unmittelbare oder medial vermittelte soziale Umfeld beschränkt, sondern begreift die sogenannten ›menschlichen Tatsachen‹ mit ein. Darunter solche, angesichts derer jeder mit sich allein ist, es sei denn, er findet eine Weise, sie zu kommunizieren, ohne zu kommunizieren, soll heißen, Auskunft zu geben, als gäbe es jene sich vordrängelnde Instanz gar nicht. Die Literatur wimmelt von Formeln, darunter rührenden, auch pathetischen oder pseudo-abgeklärten, mit deren Assistenz sich die Aufgabe routiniert und preisverdächtig bewältigen lässt. Diese innere Unaufrichtigkeit der Literaten hat eine eigene melancholisch-grimmige Literatur auf den Plan gerufen, vom Schreiben abgehalten hat es niemanden. Wer nicht Schaden an seiner Seele nehmen will, ist schon beschädigt: das sagt das Literaten-Gefühl oder zumindest die Scham darüber, nicht mitreden zu können, wenn sich die Erwachsenen unterhalten. Kraft jener psychosozialen Regel, nach der den Unaufrichtigen die meiste Aufmerksamkeit entgegenschlägt – man muss sie kontrollieren, denn sie könnten etwas im Schilde führen – behauptet sich am längsten, wer die Grenze zwischen Fiktion und Realexistenz am entschiedensten ›in Frage stellt‹, verschwimmen lässt oder, ebenso dreist wie, nun ja, verlogen ›aufzuheben‹ verspricht. In dieser Disziplin schlägt jeder einsame Blogger die Meute der Romanschreiber um Längen. Durch mediale Stellwände vom literarischen Prestige getrennt, fishing for real readers, gelingt ihm spielend, was in den Abteilungen, in denen man mit seiner professionellen Erzeugung befasst ist, als Titanenarbeit angeboten und vertrieben wird. Der als Informations-Freak getarnte Romancier ist nicht der Erbe, sondern der test of ridicule unserer armseligen Schriftstellerei. Nichts beschäftigt ihn so unaufhörlich wie die Beantwortung der Frage, warum er nichts zu sagen hat.