Verständlich also, dass ein öffentlich geführtes Netz-Tagebuch früher oder später in Widerspruch zu sich selbst gerät. Als ›Logbuch‹ suggeriert es ein protokollfähiges, aus objektiven Berichtsgründen mitteilenswertes Geschehen, das es in dieser Weise nicht gibt. Nur ausnahmsweise geraten Tagebuchschreiber in den Sog von Ereignissen, die ihnen eine besondere Chronistenpflicht auferlegen und ihnen prompt die Aufmerksamkeit ihrer Mitwelt sichern. Was erst die Aufmerksamkeit der Nachwelt erregen wird, die Eruptionen der Langeweile, des künstlichen Betroffenseins, des nicht-genau-Wissens, des allzu-genau-Wissens, des Eigendünkels im Gewand temporärer Gesinnungen, die gedankenlose Aufzählerei, die Beschreibungssucht, die ganze Zufallsauslese im Nu verflossener Schreibimpulse, das alles existiert, streng genommen, noch gar nicht, solange die Mitwelt den Schreibenden über die Schulter sieht, weil sie unwillkürlich nach dem Ausschau hält, was sie noch nicht kennt. Die Schreibenden wissen das und unwillkürlich nehmen sie die Haltung von unbezahlten Nachrichtenhelfern oder, wie sie es selbst sehen, von Kriegern in einem umfassenden Informationskrieg ein, in dem vor allem das Wissen zu zählen scheint, wer die eigenen Leute und wer die anderen sind – ein beharrlich gepflegter Irrglaube, der übersieht, dass die gestanzten Botschaften, mit deren Verbreitung sich einer lieb Kind macht, keine Gemeinsamkeit stiften, sondern nur Konformismus und Denkfaulheit befördern. Die privat geführten Logbücher der Menschheit sind der Sand, den jede ans Ufer rollende Welle aufhebt, ein Stückchen weiterträgt und wieder zurücksaugt, um jenes Waschbrettmuster entstehen zu lassen, an dem sich, bei gehöriger Distanz, mehr oder weniger zuverlässig das jeweils herrschende Auffassungs- und Gesinnungsspektrum ablesen lässt.

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