Das Alphazet ist eine Adresse im Netz, nicht mehr, nicht weniger: kein ›Buch‹, kein ›Wiki‹, kein ›Blog‹, man könnte meinen, hier wohne der abwesende Autor, ein Wesen ohne Fleisch und Bein, das von Selbstbekundungen absieht. Das unterscheidet ihn von anderen Netzbewohnern, die im Schutz ihres Avatars dem Kult der Selbstbezeugung huldigen. Nicht als ob dieser zurückhaltender zu Werke ginge – jeder Eintrag hier ist auch eine ›Selbst‹-Bekundung, er ist einem Selbst abgenommen, wie man den Bart abnimmt oder die Fingernägel stutzt, sobald sie über ihre alltagstaugliche Länge hinauswachsen. Das Selbst bleibt bei alledem unberührt, es kommt nicht in Betracht, wie es so schön heißt, obwohl es seine Wucherungen sind, die diese Aktivitäten hervorrufen. Es kommt nicht in Betracht, soll heißen, es kommt nicht heraus. Das liegt, vor allem anderen, an der fehlenden Chronologie der Einträge sowie ihrer radikalen Zerstückelung. Die lexikalische Ordnung lässt keinen anderen Zusammenhang zu als den Verweis. Sie verbietet ihn geradezu als einen Verstoß gegen die guten Sitten, als eine Mogelei, die nicht nur die Form entwertet, sondern auch den Inhalt der Aufzeichnungen. Wer immer sich ihrer bedient, verzichtet darauf, Ordnung zu schaffen. So etwas geschieht nicht ohne Grund. Ein Verzicht darf widerrufen, aber nicht unterlaufen werden. Das ist eine Frage der Ehre, ohne die keine Schriftstellerei auskommt. Die selbstauferlegte Regel gilt ohne Ansehen der Person. Sie kann nicht durchbrochen werden, weil es gerade passt, ohne das Ganze unpassend, das heißt wertlos zu machen. I cannot make it cohere schrieb Ezra Pound in seinen späteren Jahren, das klingt nach Drogenkonsum, aber es ist, neben dem Bekenntnis eines Unvermögens, auch Ausdruck einer Erfahrung, und die Frage erhebt sich, welche Seite die andere überwiegt. Der gängige Konstruktivismus ist das historische Kind dieses Unvermögens und dieser Erfahrung, und wenn das, was es zeugte, Wollust genannt wird, dann war und ist es eine magere Wollust, in der das ›Lusthaben‹ wenig mehr bedeutet als Angstumkehr. Die Last des Daseins weiter zu transportieren, nicht liegen zu bleiben, die überschüssigen Kräfte in irgendeine Form zu zwängen, bevor der Mechanismus der Selbstzerstörung in Kraft tritt: darin liegt eine Fügsamkeit, die als ›vernünftig‹ gilt, ein eifriges, gelegentlich eiferndes Lebensregiment, das in der allgegenwärtigen ›Karriere‹ seinen passenden Euphemismus gefunden hat. Das Verbot, in dem das Alphazet gründet (kein archaisches, sondern ein selbst auferlegtes), ist das Verbot an den einzelnen Eintrag, Karriere zu machen, aus dem Charakter der Einzelheit herauszutreten, ihn, gemäß der Sprache der Ehre, zu verraten und konstruktiv zu werden. Die ausgestellte Chronologie als Suggestion einer Ordnung, die keine ist – außer der des Vergehens –, und eines egokalendarischen Ordnungsentwurfs bezeichnet die Minimalform des Mitmachens und damit bereits ein Extrem, eine Unbedingtheit des Dabeiseinwollens, welche die unstrukturierte Fülle der vom ›Ich schreibe‹ zusammengehaltenen Lebensäußerungen als Interpretamentum des Ganzen feilbietet – verschlucke sich daran, wer will. Demgegenüber bleibt der Alphazet-Eintrag in der Schwebe. In der Ungewissheit darüber, wann er entstanden ist, nistet die Ungewissheit, worauf er sich ›eigentlich‹ bezieht. Das klingt banal und es zielt auf Banalität: was sich nicht ausschließen lässt, das ist auf unbestimmte Weise immer dabei.

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