Das Glücksverlangen der Menschen ist mit dem Schreiben immer Verbindungen eingegangen, von denen einige die Nachwelt in Erstaunen versetzen, weil sie geradewegs wie Formen des verunglückten Lebens daherkommen – sie hält Begriffe wie Kompensation dafür bereit, so als habe hier doch jemand ein Mittel gefunden, sich schadlos zu halten, auch wenn der Schaden, objektiv gesehen, ins Unermessliche geht. Das Fortschreiben enthält diese drei Bedeutungen, als handle es sich um ein und dieselbe, das Weiterschreiben (die ›Einschreibe‹-Praxis, von der die Literaturwissenschaft redet), das Weg-Schreiben des Unerwünschten und das Sich-Fortschreiben aus dem erschütterten Leben und seinen Zusammenhängen, als gäbe es einen anderen Ort, dem sich zustreben ließe. Gibt es ihn denn? Diese Frage ist nicht erlaubt. Stirbt ein zugrunde liegender Glaube, so stirbt auch die zugehörige Praxis. Doch das kann dauern. Und was will das heißen: ein Glaube stirbt? Wird dann der Platz, den er einnahm, frei? Wahrscheinlicher ist die Verwandlung, die bis zur Unkenntlichkeit gehen kann, so dass sich am Ende zwei Zyklen ein und desselben Glaubens abweisend oder kampfbereit gegenüberstehen: eine jener fatalen Zwillingsfeindschaften, an denen eine Kultur so reich ist und aus denen sie ihr eigentliches Leben gewinnt. Aus diesem und anderen Gründen zählt das dreifältige Fortschreiben zu den Grundleistungen der Kultur. Hier findet sich, unabhängig von Sozialleistungen und technischem Fortschritt, ihr zivilisierendes Rückgrat: das Organ, ohne das der aufrechte Gang für immer Illusion bliebe. Wer redet, ist nicht tot: an solchen Binsenweisheiten entscheidet sich das Schicksal des Einzelnen wie seines Kollektivs, dieses erweiterten Ich, das immerfort auf das singuläre zurückwirkt, aber nur in Ausnahmefällen (und -situationen) mit ihm verschmilzt. Diesem Reden ist die Schrift inhärent, sie verfügt ebenso sehr, worüber geredet, wie, in welcher Weise es geschieht; ist das Totem die Schrift, dann ist die Rede totemistisch. Deshalb sind das Tagebuch und das enzyklopädistisch begriffene Wörterbuch die Basisformen des Schreibens in einem entwickelten zivilisatorischen Feld: im einen schreibt sich das Ich, im anderen das Kollektiv fort. Am wechselnden Antagonismus beider Formen lässt sich ablesen, welche Grundübel einer Gesellschaft zu schaffen machen, denn vereint sind die beiden nur im Kampf – entweder gegeneinander oder gegen den gemeinsamen antizivilisatorischen Feind.

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